Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

Gewiß, es ist nicht zu bezweifeln, daß das Weltbild des Abendlandes dank Film und Anschauungskunde unvergleichlich breiter und reicher geworden ist; aber doch nur in dem Sinn breiter und reicher als jede Anhäufung von Kentnissen als Erlernen von Wissenschaften, Sprachen und Fertigkeiten als das Reisen und Aufstapeln von Gütern und Werten in Museen und Sammlungen unsern Gesichtskreis erweitert und unser Machtgefühl erstarken läßt. Es fragt sich aber, ob wir dabei nicht Seele preisgeben. Indem wir von Jugend an daran gewöhnt werden, Alles im Sinne der Alles ablichtenden Platte zu sehen (gegenständlich und erfahrungsgenau beobachtend) wird aus den Dingen herausgetrieben ihr Lächeln und ihre Träne. Die Gestaltenwelt, darinnen wir ahmen, wird zur Gegenstandswelt, mit welcher wir arbeiter“ Wir sehen in jedem Kino die unnatürlichste Aufspeicherung der gräßlichsten Blüftereien; deren keine wir fühlend zu ertragen vermöchten, wenn wir sie wirklich erlebten, die uns aber wie angenehmer Kitzel der Haut anregen, weil wir durchaus unbeteiligt draußen stehn und gewöhnt werden, alles Leben der Erde so zu betrachten als ob ‘es außer der Beziehung zu unsern En uns gar nicht das mindeste angehe. 3

Im Lichte solcher Erwägungen wird die Weigerung Goethes durch Fernglas und Kleinglas zu blicken und seine Abneigung gegen Brillenträger zum Ausdruck der Ahnung, daß die vielgepriesene Sachlichkeit unsres Weltbildes gewonnen sein könnte durch die nicht natürliche Erweiterung des beobachtenden Sinnes auf Kosten innerlicherer Sinnesvermögen und somit zuletzt uns aufbauen könnte eine abnorme und nicht mehr lebendige Dingwelt. Für den europäischen Menschen wurde das Kunstwerk eine Zusammenbiegung vieler Einzelwahrnehmungen zu gegenständlicher Wirklichkeit. Darüber aber verlernt er die lebhafte Erschütterung im Augenblickserlebniß des Gegenwärtisen. Er gewinnt eine geschichtliche und naturwissenschaftliche Welt, welche er anspricht als das Lebendige, ohne zu spüren, daß sie zwar die Handhaben bietet, um uns im Meere der auf uns einstürmenden und zuströmenden Sinnesreize zurecht zu finden und wehrhait zu erhalten, andrerseits aber auch Lebendigem das Grabmal setzt. Denn Wesen und Sein kann nicht durch das Auge des Wissens gesehen werden, sondern nur vermöge eines Traumsinns, ähnlich wie wir als Kinder die Dinge erfahren als Stück unsrer eigenen Seele, bevor wir sie begreifen, d. h. uns von ihnen