Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

352 Neueſte Geſchichte. 2. Zettraum.

behandeln würden, Im Ganzen iſt dieſer Grundſaß von ihnen auch bez obachtet worden, indem ſie Frankreich weder getheilt , noh weſentli ge\{<wäct haben. Aber es war niht wohl möglich „ daß dieſe Erklärung ihren Truppen bei Behandlung des Landes hätte zur Richtſchnur dienen können. Dieſe vermochten eine ſolche Unterſcheidung zwiſchen Napoleon, ſeinem Heer und dem franzöſiſchen Volke, zu dem beide gehörten, und das die Mittel zur Kriegführung geliefert hatte, nicht immer zu begreifen und no< weniger anzuwenden. Die Gegenwart ſto großer fremder Heeresmaſſen hätte allein hingereicht, das Land zu drü>en. Hierzu kam bei den Siegern allerdings zuweilen die Neigung hinzu , ein Wiedervergel= tungsrect an der ſtolzen Nation zu üben, die ihre Macht den übrigen Völkern von Kadix bis Moskau oft ſhonungslos fühlbar gemacht hatte. Indeſſen geſchah dies weniger, als man nac den langen Kämpfen und der gegenſeitigen Erbitterung hätte befürchten können.

Die franzöſiſchen Darſteller jener Epoche haben beſonders die PreuFen und ihren oberſten Führer , den Fürſten Blücher , der Rauhheit und Gewaltſamfkeit bei Behandlung der von ihnen beſetten Landſtriche ange= klagt, und im Vergleich zu ihnen die Schonung und Großmuth der Eng= länder und Lord Wellington's hervorgehoben. Dies iſt ſo einſtimmig behauptet worden , daß es wohl einigen Grund haben mag. Indeſſen haben die Franzoſen dabei vergeſſen, daß ſie zwar mit England lange Kriege geführt, aber nie daſſelbe beſest hatten, und daß es vornehmli< vas Verhalten ihrer Generale und Inteudanten in Preußen geweſen, das eine ſo große Abneigung gegen ſie und den Drang na< Wiederver=geltung der erlittenen Unbilden in dem preußiſchen Heere erzeugt hatte. Da Wellington feiner, ſtaatsklüger, an die Behandlung großer Verhält= niſſe gewöhnter als der preußiſche Feldherr war, o hat er ſelbſt an und für ſich harte Maßregeln in eine mildere Form zu kleiden gewußt, während Blücher dur ſeine Sprache zuweilen mehr als durch ſeine Handlungen verlegte. Der wahre Grund der Klagen der Franzoſen über das preuFiſche Kriegsvolk in jener Zeit liegt aber darin, daß ſie gerade von den Preußen die empfindlichſten und überraſchendſten Schläge, wie die erſte Einnahme von Paris, die ohne Blücher's Kühnheit nie erfolgt wäre, und die gänzliche Niederlage bei Waterloo , die ebenfalls durh Blücher herz beigeführt worden, erfahren haben. Auch kommt noc der Umſtand hinzu, daß ſie die Preußen, als ein in der Geſchichte ſpät erſchienenes Volk, ſi weniger ebenbürtig als die Engländer aten, und durch die von einer kleineren Macht über ſie davon getragenen Vortheile ſich beſonders gez demüthigt fühlten.