Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871
Labedoyère's Hinrichtung. — De Lavalette's Flucht. 369
Name auf ihn ausübte, keine klare Vorſtellung von der Größe ſeiner Verſchuldung gehabt zu haben. Nach Paris, aus Liebe zu ſeiner dort weilenden Familie, heimlih zurü>gefehrt, ward er erkannt, verhaftet und vor ein Kriegsgericht geſtellt, Die rührenden Fürbitten ſeiner Mutter und Gattin bei Ludwig XVI. blieben erfolglos. Er wurde in der Ebene von Grenelle bei Paris erſchoſſen.
Bald nach Labedoyère's Hinrichtung wurde der Graf de Lavalette vor Gericht geſtellt. Dieſer war während der Feldzüge in Italien und Egypten Napoleon's Adjutant geweſen, hatte eine Nichte der Kaiſerin Joſephine geheirathet, und die Generaldirektion des kaiſerlichen Poſtwe= ſens erhalten. Die Stelle, die unter einer argwöhniſchen und willkühr= lichen Regierung von großer Wichtigkeit war, ſette auf der einen Seite ein unbedingtes Vertrauen, auf der anderen eine gränzenloſe Ergebenheit voraus. Die Poſt war eines der vornehmſten Mittel der Napoleon’ſchen Polizei, um in die Geheimniſſe der Parteien und aller hervorragenden Perſonen einzudringen. Lavalette hatte ſein Amt bei Ludwig XVII. erſter Rü>kehr verloren , ſi< aber deſſelben am Morgen des 20. März, noh ehe Napoleon in Paris angekommen , mit Gewalt bemächtigt, und die vom Könige eingeſezte Verwaltung aufgehoben. Auch ihm war, wie Allen, welche während der hundert Tage eine Rolle geſpielt, Zeit und Gelegenheit zur Flucht gelaſſen , aber in unerklärbarer Verblendung von ihm nicht benußt worden. Er wurde von den Geſchworenen für ſchuldig befunden und zum Tode verurtheilt. Den Abend vor dem zu ſeiner Hinz rihtung beſtimmten Tage empfing Lavalette den Beſuch ſeiner Frau. Alle Verſuche, von dem Könige eine Begnadigung des Verurtheilten zu erlangen, waren fruchtlos geblieben. Denn de Lavalette galt nicht nur für einen eifrigen Anhänger Napoleon's, ſondern ward auch beſchuldigt, deſſen Rückkehr aus Elba vorbereitet und begünſtigt zu haben. In dieſer verzweifelten Lage kam die muthige Nichte der Kaiſerin Joſephine auf den Gedanken, ihren Gemahl dadurch zu retten, daß ſie die Kleidung mit ihm vertauſhte. Die Aufſeher hatten ſi, um den letzten Abſchied der Gatten nicht zu ſtören, einen Augenbli> lang zurü>gezogen. Der Anſchlag gelang. Lavalette entkam in den Kleidern ſeiner Frau, das Geſicht mit einem dichten Schleier bede>t, aus der Conciergerie, wo er ſaß, und wurde bald darauf dur die großmüthige Hülfe mehrer Engländer, namentlich des Generals Sir Robert Wilſon, über die franzöſiſche Gränze in Sicherheit gebraht. Seine Frau hatte dem heftigen Eindru>, den ſeine Verurtheilung, und dann die kurze, aber ſchre>liche Ungewißheit über das Gelingen der Verkleidung und Flucht auf ihr Gemüth hcrvor=
Be>er, Weltgeſhihte. 8. Aufl. XVL 24