Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen
und Weinen. Wir dürfen uns also über Mangel an Mannigfaltigkeit der Mundeinstellungen wahrlich nicht beklagen, der Mund übertrifft vielmehr an Ausdrucksfähigkeit jedes andere Organ, selbst die Augen, wenngleich er auch dort, wo er Geistiges ausdrückt, ebenso wie die Nase, mit viel mehr Gefühlsgehalt gesättigt ist. Doch ist die Spannweite der Ausdruckssprache des Mundes eine ungemein große, Der Mund kann, und dies ist wohl eine seiner ältesten Funktionen, den Gegner zerfleischen; er ist es aber auch, der über die letzten Dinge sprechen, ja, beides vereinigend, mit dem Wort zerfleischen kann.
So hat denn auch der Mund schon früh die Aufmerksamkeit der Ausdrucksforscher auf sich gelenkt und eine Reihe von Ausdruckszügen des Mundes wurde von Bell, von Darwin, von Piderit und von Wundt beschrieben. Unglücklicherweise war wenig System in diesen Beschreibungen; denn den Erscheinungen des Alltags liegt es ferne, durch lehrhafte Einfachheit zu imponieren und der erste Griff der Beschreibung ist mehr die künstlerische Wiedergabe komplizierter Phänomene. Die Ausdrucksformen des Lachens und Weinens, die Geschmackseinstellungen nach süß, sauer und bitter, alle höchst zusammengesetzt, das waren die ersten, die bei jenen Forschern charakteristische Gestalt gewannen. Um aber die wirklich elementaren Ausdruckszüge des Mundes zu analysieren, dazu müssen wir wesentlich anders vorgehen, und die Prinzipien, von denen wir uns bisher leiten ließen, werden uns auch hier zustatten kommen. Vor allem: so vielen Funktionen der Mund auch dienen mag, als Sinnesöffnung ist er mit denselben Behelfen ausgestattet wie Auge und Nase. Er hat (Fig. 9 und 2?) einen Ringmuskel, den Lippenmuskel; an allen vier Ecken werden von den Schneidezahnmuskeln beim Spitzen des Mundes die Lippen in ihrer Einwärtsspannung unterstützt. Um so reicher und
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