Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance
der Proportionslehre, ja auch in der Dekoration der Kirchen nadhklingt, für deren Deutung daher die offizielle Theologie des Mittelalters nicht immer ausreicht. Höchst wahrscheinlich haben allerlei verfolgte Geheimlehren shon früh sich in die gesicherte scheinbar harmlose Organisation der Bauhütten geflüchtet. Anders ist das zähe Fortleben vieler bauhandwerklicher Symbole in den Lehrbildern und Riten nicht nur der italienischen Akademien des 15. bis 17. Jahrhunderts sondern vor allem auch in den chymischen Gesellschaften, dem Rosenkreuzertum, in den Sprachgesellschaften und schließlich in den eigentlichen Freimaurerlogen nicht zu erklären. In den früheren Akademien desRenaissancehumanismus, wo sich Maler, Bildhauer, Architekten und Musikerneben Literaten und Naturphilosophen fanden, scheinen dieschönen Künste und die rein archäologischen Interessen ebenso wie die öffentlichen Disputationen und festlihen Versammlungen gelegentlich nur so etwas wie ein Aushängeschild gebildet zu haben, hinter denen sich jene kryptischen Tendenzen „heidnischer” Art, von denen auch Reumont spricht, verbargen. Nicht nur die Baukunst mit ihrer kosmischen Tempelsymbolik, mit ihren geheimen Proportionen und Zahlen, ihren Meßwerkzeugen, nicht nur die allheilige Geometrie, sondern insbesondere aud die Musik - die „tönende Mathematik” — mag als solche für den Eingeweihten einen Hintersinn gehabt haben und die ästhetisch-romantische Geselligkeit mit ihren Bräuchhen und Kostümierungen, ja selbst eine gewisse erotische Freiheit in den „fetes hampetres“ der Mitglieder ward durch die höhere Wollust der Musik veredelt. Von den italienischen Akademien des späteren I6. und 17. Jahrhunderts ist ihre Bedeutung für die Musikgeschichte bekannt. Vieles läßt darauf schließen, daß auch die mehr oder weniger geschlossenen und kultisch angehauchten Gesellschaften und Kränzchen der früheren Zeit Pflegestätten der Musik gewesen sind. Der Fanatismus, mit dem man in solchen Zirkeln alles Musikalische betrieb — auch Giorgiones Kunst und Leben bietet uns ein Beispiel für solche Leidenschaft®*) — läßt aber darauf schließen, daß es der neue Stil in der Musik war, an dem man sich in den romantisch-ästhetischen Zirkeln berauschte. Man bedenke auch, daß gerade etwa Giorgiones Zeitalter und eben Venedig es war, wo man zuerst gegenüber der alten, nur
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