Griechische Bildwerke : mit 140, darunter etwa 50 ganzseitigen, Abbildungen
Vu
spannten Bausch der herabschwebenden Nike aus dem vollen Stein zu hauen (66), prachtvoll endlich ist das Gewand um den stolzen Leib der samothrakischen Nike geschlagen, die vom Seewind angeweht im Bug des siegenden Schiffes steht (105).
So wird die griechische Tracht in der Blütezeit der Kunst zu einem Mittel, den Bewegungsausdruck des Leibes in machtvoller Vergrößerung zu versinnlichen, und zu einem neuen Zeugnis für das (körperliche und geistige) Selbstbewußtsein der griechischen Menschheit.
-
I.
Die Entwicklung der griechischen Plastik ruht aber auf der Darstellung des unbekleideten Körpers. Angesichts dieser ganz unbefangen vorwaltenden Nacktheit wenigstens der Jünglingsgestalt muß darauf hingewiesen werden, daß die Nacktheit hier keine künstliche Abstraktion, sondern in der Tat in weitem Umfange Abbild wirklichen Lebens ist.
In das hohe Altertum des VIII. Jahrhunderts v. Chr. führt die Sitte der Nacktheit bei den olympischen Wettspielen hinauf; nicht als primitive Unvollkommenheit aus roherer Zeit bewahrt, sondern als Produkt selbstbewußter Kultur eingeführt und als Fortschritt der nationalen Gesittung empfunden. Zuerst beim Wettlauf, dann beim Ringkampf üblich, verbreitet sie sich bald über das ganze Machtgebiet der griechischen Kultur, untrennbar verknüpft mit jeder Art von Leibesübung, die von der Nacktheit selbst den Namen erhielt. Ja in Sparta kämpften selbst Jungfrauen miteinander nackt oder ganz leicht mit dem geschlitzten und nur auf der Schulter gespangten Chiton bekleidet, und mit welcher natürlichen Züchtigkeit das geschehen konnte, zeigt die glücklich erhaltene Marmorkopie der Bronzestatue einer Wettläuferin aus dem VI. Jahrhundert, deren „sittliche Grazie‘“‘ überhaupt nur auf dem Boden einer ganz freien, weitherzigen und hohen Lebensauffassung denkbar ist (24).
Erst durch die Gewohnheit vollkommener Nacktheit konnte der Leib in dem Maße, wie es bei den Griechen der Fall
war, zum Träger gleichmäßig verteilter Empfindungen werden. Von selbst ward das Auge angeleitet, in dem ganzen Körper das Leben der Seele zu erkennen. Wie sehr aber diese den ganzen menschlichen Leib umfassende Beobachtung von vornherein der griechischen Natur gemäß war, zeigen bereits die Homerischen Gedichte, in denen auch die leichten Knöchel der Mädchenfüße mit einemzierlichenSchmuckwort bedacht sind.
Hier tritt vielleicht am deutlichsten zutage, um wieviel näher die Griechen in ihrer guten Zeit der Natur standen, als es uns vergönnt ist, denn für uns, die vom Menschen sogar an uns selbst nichts als Gesicht und Hände unverhüllt zu sehen gewohnt sind, vereinigt sich mit Notwendigkeit das ganze Empfinden des Leibes und der ganze Ausdruck der Seele hier, und leicht wird diese Gewohnheit falschen Sehens dem neueren Künstler verhängnisvoll, wenn er sich an die Darstellung der Nacktheit wagt. Selbst in Michelangelos David bleibt ein Unbehagen zu verwinden, das sich aus dem verhältnislosen Vorwalten des Hauptes und der Hände herschreibt.
Früh fand neben der Gymnastik und mit ihr verbunden, die kunstmäßige Form des Tanzes Ausbildung und Pflege. Nackt tanzte Sophokles fünfzehnjährig den Siegespäan nach der Schlacht von Salamis.
Wenn sich in den Gymnasien der Leib in freier, nur durch den Zweck des Kampfspiels und der Übung bestimmter Bewegung darbot, so erschien er beim Tanz gebunden nach den Gesetzen musikalischerRhythmik nun doppelt als Träger bestimmter seelischer Stimmungen.
Trotzdem aber hat nicht etwa die Gewohnheit der Palästra die Nacktheit in der Kunst ursprünglich bedingt; schon lange bevor Orsippos aus Megara den Lendenschurz beim Wettlauf im Olympischen Stadion abwarf, sind von griechischen Künstlern nackte Figuren gebildet worden. Der rein künstlerische Gesichtspunkt war hier entscheidend. Terrakotten und Steinskulpturen, bei denen das Gewand, das dem lebendigen Körper gegenüber zumal in der Zeit anfänglicher Befangenheit etwas Form-