Illustrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/15., стр. 284

234 Ein Artilleriekampf in den Dolomiten.

Von Oberſt Karl Müller, Kriegsberichterſtatter auf dem : Kriegſhauplaßz in Tirol. ——

Der Batteriekommandant ſeßte mir vor Beginn des Feuers die Schwierigkeiten auseinander, die ſih im Hochgebirge dem Erfolge des Artilleriefeuers entgegenſtellen: Die dünne Luft bewirkt eine ſehr große Stauung, ſo daß genau glei<h abgegebene Schüſſe mit gleiher Tempierung und gleihem Richtwinkel ganz verſhiedene Treffer ergeben. Wind, Nebel und Regen, Schatten und Sonnenſchein, Wärme und Kälte, Windſtärke und Windrichtung ſind weitere Umſtände, die erfahrungsgemäß im Hochgebirge die Treffergebniſſe viel ſtärker beeinfluſſen als im Tiefland. .

- Nag dieſen Erläuterungen erteilt der Batterieführer den Feuerbefehl. Der am Fernſprecher ſtehende Unteroffizier gibt ihn weiter. „Erſtes Geſ<hüß feuern.“ Die Batterie befindet ſi<h einen guten Kilometer weiter zurü>, in einer Mulde gede>t. „Abgefeuert !“ — Ein dumpfer Knall. Dann ein näher und näher kommendes Sauſen, wſſſ wi} ……., jeßt faſt zu einem Miauen anſhwellend, gerade über unſere Köpfen herüber, ſ<ließli< ein langgezogenes, nah und na verhallendes Toſen und Dröhnen. — Lange Pauſe. - Eine Minute lang harren wir mit verhaltenem Atem, dex Batterieführer am Scherenfernrohr, wir anderen den Zeißfeldſteher angelegt und die Augen feſt aufs Ziel gerihtet. .. Da! Ein weißes WölkHen, dem eine \{<warzbraune, hohaufſteigende Wolke folgt, in der das Ziel ver- | ſ<windet. Nachdem ſih die Wolke zerteilt hat, wird der Einſlag ſihtbar: dicht vor dem Ziele, ſheint es. Der Batterieführer diktiert dem Unteroffizier, der die Feuerkontrolle führt: „.. Teile rehts vorbei.“ Neuer Feuerbefehl. „Zweites Geſhüß feuern!“ ... „Abgeſeuert!“ ,. . Wieder giſht und faut es über uns hinweg, dem Ziele zu. Diesmal iſt der Einſchlag 2twas hinter dem Ziele. Eine ShußTorreftux wird vorgenommen. - Ein dritter, ein vierter Sqhuß wird abgegeben. Alle ſißen in unmittelbarer Nähe des italieniſhen Geſhüßſtandes, in dem es re<t ungemütli ſein muß. | - :

__ Inzwiſchen hat die italieniſhe Batterie das Feuer. er-

widert. Sie beſchießt jedo< niht die feuernde Batterie, |

deren Stellung ſo gut verborgen iſt, daß ſie von den

Jtalienern niht entde> werden konnte, vielmehr eine |

andere,=von unſerem Standort aus gut ſihtbare, aber weit entfernte, Hinter der Bergrippe eines Ausläufers der Marmolata auſgeſtellte k. u. fk. Batterie, die ſelbſtverſtändlih ebenfalls in den Feuerkampf eingreift. Das italieniſhe Feuer bleibt erfolglos. Eine weitere Batterie tritt auf unſerer Seite in Tätigkeit. Jhre Stellung liegt ebenfalls weit hinten, ihre Feuerbefehlſtelle befindet ſih am anderen Ende unſeres Verbindungsgrabens. Abwechſelnd geben die Batteriekfommandanten ihre Feuerbefehle, die wir, im Graben gede>, verfolgen und deren Wirkung wir fortwährend beobahten. Auf italieniſher Seite greift nun au< eine zweite Batterie, deren Stellung unſerer Beobachtung entzogen iſt, ins Feuer ein, das lebhaſter wird. Mehrere Batterien ſtehen nun im Gefeht. Der Geſhüßdonner briht ſi am Eispanzer der Marmolata und hallt von Fels zu Fels. Ganz deutli iſt das Mündungsfeuer der italieniſhen Batterie ſihtbar. Die italieniſche 12,5-cm-Batterie feuert heftig, faſt möchte man ſagen, nervös und gibt wiederholt Batterieſalven ab. Ruhig und ſparſam ſegen die k. u. k. Batterien ihr Feuer fort. Die italieniſhen Batterieſalven werden mit Gruppenlagen beantwortet. Ein Kranz von Einſhlägen hatte ſi<h bereits gebildet. Zwei, drei Treffer unſerer Batterie A ſaßen ganz nahe am Ziel. Der Batterieführer feuerte mit gleihem Aufſaß no< einen Shuß. Wieder fauchte es über unſeren Häuptern, wieder ſtarrten wir hinüber, eine ganze lange Minute, bis die Granate die verſchiedenen Kilometer bis zur italieniſhen Batterie zurü>gelegt hatte — — da plöß=li rauchte und qualmte es aus dem feindlihen GefMhüßſtand heraus, ein gewaltiger Shwaden. Kein Zweifel, ein Volltreffer war mitten im Geſhüßſtand geplaßt, das Geſhüß ſelbſt wahrſheinlih gebrau<hsunfähig gemacht. Als ſih die Rauh- und Staubwolke verzogen hatte, konnte man dur<hs Sherenfernrohr deutlih die Breſche wahrnehmen. Das italieni|<e Geſhüß verſtummte augenbli>li<, es war bu<hſtäbli<h und wirklih „zum Schweigen gebraht“.

Illuſtrierte Geſchichte des Welikrieges 1914/15.

ſtatt.

Wie mochte es im Jnnern ſeines Geſhüßſtandes EE dd Vermutlih iſt die geſamte Geſhüßmannſchaft gefallen

_Höré man die heranſauſende Granate ?

Während vom Infanteriegeſhoß behauptet wird, daß man das Geſchoß ſelbſt niht hört, wird von den Granaten geſagt — wenigſtens behauptet das ein Teil der Kriegsteilnehmer, während ein anderer dem widerſpriht —, daß man ſi< vor einer heranſauſenden Granate no< hinwerfen kann, ſie alſo kommen hört. Jn den „Monatsheften für den naturwiſſenſhaftliGen Unterriht“ unterſucht nun Dre. W. Meine>e (Stettin) dieſe beiden Ausſagen und führt folgendes aus: Zunächſt iſt man geneigt, die Möglichkeit der legten Behauptung zu verneinen, da ja die Geſhwindigkeiten der modernen Geſchoſſe die Schall= geſ<hwindigkeit von 330 Metern in der Selunde bedeutend

übertreffen. Aber genauere Unterſuhungen (von W. Donle) S

laſſen erkennen, daß zwar die Anfangsgeſhwindigkeiten die Schallgeſhwindigkeit übertreffen, daß aber der Luſts--

- widerſtand die Geſhwindigkeit des Geſchoſſes auf Werte unter 830 Meter in der Sekunde herabdrüden fann. So

Éönnte man au< ein Jnfanteriege\<hoß vorher hören, wenn der Süße genügend weit entfernt wäre, nämli<h zwei Kilometer zum Beiſpiel bei Gewehr Modell 98. Die Zeit, die der Schall gebraut, das iſt 2000 : 3380 = 6,06 Sekunden, iſt kleiner als die Flugzeit von 6,57 Sekunden; aber die Zeitz differenz iſt ſehr fnapp. Weſentlih anders liegt die Sahe bei der Granate Kaliber 8,8 Zentimeter. Nehmen wir an, daß das Geſhüß auf ein ſe<s Kilometer entferntes Ziel gerihtet iſt. Dann iſt fünf Sekunden na<h dem Abſhuß

das fliegende Geſhoß der Schallwelle des Abſhuſſes voraus.

Nach zehn Sekunden hat abex die Schallwelle die Granate überholt. Nah 18 Sekunden trifft die Schallwelle am Ziel ein, es bleiben alſo 12 Sekunden bis zum Einſhlag. Von Der 18. bis zur 30. Sekunde hört man mithin die Granate heranſauſen. Es kann freilih au< der Fall eintreten, daß das fliegende Geſchoß ſelbſt Shallquelle iſt, daß mithin die Schallwellen des Abſhuſſes überholt werden können dur< Schallwellen von irgend einem Punkte der Flugbahn.

Goethes Jphbigenie in Namur. (Hierzu-das Bild Seite 235.)

Die Kunſt folgt unſeren Feldgrauen ins feindlihe Land! Wiederholt ſind in dem beſeßten Belgien unſeren Truppen von deutſhen Künſtlern Genüſſe geboten worden, die ſie aus der rauhen Wirklichkeit des Krieges hinaus= führten in die freundlihen Höhen deutſcher Kunſt. ZU den eindru>vollſten dieſer Veranſtaltungen gehört wohl die erhebende Jphigenieaufführung in Namur, die am Sonntag, den 4. Juli 1915, unter Gottes freiem Himmel in dem herrlihen Stadion des Jeux ſtattfand, das der König Leopold IT. erbaut hat. Die Einladung zu dieſem Gaſiſpiel war von der fkaiſerlihen Oberkommandantux in Namur an Künſtler des Wiesbadener Hoſtheaters ergangen, die gern und freudig dieſem Ruſe Folge geleiſtet haben. Großes Verdienſt um das Zuſtandekommen des Gaſiſpiels hat ſih der Hofſhauſpieler Gautſ<h von Gils erworben, der aus dem Schüßengraben herbeieilte, um ſeine feldgraue Rolle als Unteroffizier im Kriege für dieſen Tag mit Der des Oreſtes zu vertauſchen. Die Jphigenie ſpielte Fräulein Frida Eichelsheim mit ihrer verklärenden Kunſt, in den übrigen Rollen wirkten die Hofſhauſpieler Zollin, Rodius und Albert mit. Ein herrliher Sonntag wax über Namur heraufgezogen, in dihten Scharen pilgerten unſere Feld= grauen erwartungsvoll zu dem antiken Theater hinauf, Das einen würdigen Feſtrahmen zu dem Goethiſhen Meiſterwerke bot. Das Theater, das nah griehiſ<en und modernen Grundlinien erbaut iſt, bildet einen weiten Halbkreis, der bis zu den erhöhten Pläßen von dem aus unſeren Feldgrauen gebildeten Publikum dicht erfüllt war. Wohl an die 2500 Soldaten, zum Teil aus ziemliher Entfernung herbeigeeilt, ſaßen da in gehobener Stimmung. _Schöôn war auch, daß jeder, mit Ausnahme der Verwundeten, ſeine Eintrittskarte bezahlt hatte, denn die Vorſtellung fand zum Beſten der Wohlfahrtska]ſſe des Gouvernements Namur i Um fünfeinhalb Uhr nahmittags begann das Spiel. Weihevoll ertönt aus dem verde>ten Orcheſter Glu>s Vor=ſpiel zu Iphigenie in Aulis, und die ergreifende Muſik ex-