Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, стр. 269
zeigte den Befehl des Großveziers vor. Nun war das Maß voll; der Großvezier hatte es gewagt, einem Befehle des Sultans entgegenzutreten. „Wer iſt Herr, er oder i < ?!“ rief der Sultan in Wuth aus, und befahl ſoglei< einem ſeiner Adjutanten, ſi< zu Mahmud Pa ſch a zu verfügen und ihm das Staatsſiegel abzunehmen, welhes Midhat Paſcha übergeben wurde. Dies geſhah am 30. Juli 1872. Mahmud Paſcha befand ſih gerade in ſeinem Sommerhauſe in Bebek im Begriffe, ſeinen AbendMaſtix (wohlrie<hendes, aus Harz deſtillirtes Getränke) zu ſih zu nehmen. ;
Die Nachricht verbreitete ſih mit Blitesſchnelle dur<h ganz Conſtantinopel, welches wie aus einem wüſten Traume erwachte. Am folgenden Abend, furz na< Sonnenuntergang, ſammelte ſi< eine zahlloſe Menſchenmaſſe vor dem „Jali“ (Hafen) des Ex-Großveziers, meiſtens abgeſetzte Beamte, die mit Nachahmung aller denkbaren thieriſchen Laute mit obligater Begleitung eines aus Keſſeln, Pfannen, Blechkaſten und Blech-Fuſtrumenten aller Art hervorgebrachten Spectakels ihm eine koloſſale Katzenmuſik darbrahten — ein bis dahin in Conſtantinopel niht vorgekommenes und auh ſeitdem nicht wiederholtes Ereigniß.
Das Unweſen, von dem ſih in der neueren Geſchichte ſ{hwerli<h ein zweites Beiſpiel finden dürfte, hatte elf Monate gedauert und Kemal Be y, ein Mitglied der „Jung-Türkei“, ſagte in einem Zeitungsartifel: „Elf Monate hat die Türkei das Cabinet Mahmud Paſchas ausgehalten und iſt niht daran geſtorben“, welchen Umſtand er als Beweis für die unverwüſtliche Lebenskraſt des Türkiſchen Reiches anführte.
Für ſich ſelbſt wußte indeſſen Mahmud Pa ſcha ausgezeihnet zu ſorgen. Um ihre ſauberen Pläne in der Türkei dur<hzuſeßen und ungeſtraft die Einwohner um die Früchte ihrer Arbeit zu betrügen, vertheilten die ehrenwerthen Gründer an Mahmud koloſſale Beſtehungsſummen. Midhat Paſcha ließ alſo ſeinen Amts8vorgänger zum 5. September vor das Miniſterium fordern, um ſi< darüber zu verantworten. Mahmud Paſcha erſchien niht und ließ ſih dur< Unwohlſein entſchuldigen; es bedurfte erſt eines Befehls vom Sultan, um ihn zu veranlaſſen, fih zu ſtellen. Anm T7. erſchien er im Miniſterrathe, um zu erklären, daß er bereit ſei, die erforderlichen Auskünfte zu geben, daß es jedo<h nothwendig ſei, gewiſſe Papiere und Actenſtücke durchzuſehen, zu welhem Ende er ſi< eine kurze Friſt ausbat. Jn der folgenden Vernehmung erflärte er nun, er habe die Hälfte der Summe unter diejenigen Bankiers vertheilt, wel<he zum Gelingen des Anlehens beigetragen, die andere Hälfte habe er dem Sultan überreicht, dieſer aber habe ſie am folgendèn Tage dur einen Palaſtbeamten ihm (Mahmud) als Geſchenk zuſtellen ‘laſſen, und er habe dafür dem Ueber-
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bringer fünftauſend Lire verehrt. Damit war der Proceß zu Ende.
Dſchemil Paſcha, türkiſcher Botſchafter in Paris, dur<h Midhat Paſcha an Server Paſchas Stelle zum Miniſter der aus8wärtigen Angelegenheiten berufen, hatte auf ſeiner Durchreiſe dur< Wien eine Audienz bei Kaiſer Franz Fo ſe f von Oeſterreich, der ihm zu ſeinem neuen Amte Glück wünſchte, no< mehr aber, daß es gelungen ſei, Mahmud Paſcha zu beſeitigen; denn fügte der Monarh hinzu — wäre derſelbe no< länger an der Spitze des Cabinetes geblieben, ſo hätten unfehlbar die europäiſchen Mächte ſich zum Einſchreiten veranlaßt ge] Chen:
Mahmud Paſcha verbrachte dieſe Zwiſchenzeit bis zu ſeiner leßten Berufung als Vezier theils in Conſtantinopel, theils als Vali der Provinz Caſtamboli (7. Juni bis 7. Juli 1873), theils wegen eines neuen Proceſſes über eine Summe von zweimalhunderttauſend Lire in Sachen der rumeliſchen Eiſenbahnen wieder nah Conſtantinopel berufen, um ſih zu verantworten; aber der Proceß wurde ſofort niedergeſchlagen und Mahmud Paſha nah Trapezunt verwieſen (13. Juli). Drei Monate ſpäter ward er Vali von Adana, wenige Tage vor dem 25. Auguſt 1875 Präſident des Staatsrathes.
Die Thatſache, daß der Sultan in dieſer ganzen Zeit fortwährend ſi< nur mit Mahmud Paſcha berieth, war allgemein bekannt, und ſo \<webte das Schrekbild eines zweiten Großvezierats dieſes Mannes wie ein Damokles-Schwert über dem Lande. Sir Henry Elliot, nunmehr hinlänglih über dieſen böſen Genius des Türkiſchen Reiches aufgeklärt, fragte in einer Audienz den Sultan, ob es wahr ſei, daß Mahmud Paſcha wieder Großvezier werden ſollte. Der Sultan erwiderte, bis jet ſei ja noh gar kein Anzeichen da, daß dergleichen ſtattfinden würde. Mit dieſer ausweichenden Antwort aber konnte der Botſchafter ſi<h niht begnügen und ex bemerkte, daß er im ausdrü>lihen Auftrage der Königin von England und der Regierung dieſe Anfrage ſtellte und alſo auf eine beſtimmte Antwort dringen müſſe. Darauf verſprach der Sultan, daß Mahmud Paſcha nicht wieder in's Amt kommen würde — und am 25. Auguſt 1875 war Mahmud Nedim Paſcha wieder Grofßvezier. Der Auſſtand in der Herzegowina und in Bosnien war bereits ausgebrochen, der türkiſche Staatscredit an den europäiſchen Börſen erſchöpft, das Land dur< äußerſte Anſtrengung ſeiner Steuerkraft völlig ausgeſogen, für unerläßlich nothwendige Reformen war nichts, gar nichts gethan; man hatte zwanzig Fahre in toller Wirthſchaft verjubelt, binnen zwanzig Fahren fünf Milliarden