Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, стр. 270

Francs Schulden gemaht und das Geld für Palaſtbauten und unfruchtbare Schöpſungen vergeudit; Mahmud Nedim Paſcha betrat wieder das Orcheſter, um die erſte Geige zu dem Wirbeltanze aufzuſpielen.

Es wurde alſo der Staatsbanfkerott in Scene geſeßt; das berüchtigte Decret vom 5. October 1875, dur<h welches die Hälfte der Zinſen aller Staatsſchulden auf fünf Fahre. verweigert wurde, war in Arbeit. Außer dem Sultan, dem General Fgnatieff und dem Großvezier wußte Niemand darum, ſelbſt die kaiſerlich Ottomaniſhe Bank nicht, die doh zu allererſt hätte befragt werden müſſen: Mahmud Paſcha ſtellte Alles in Abrede und ſelbſt ein Telegramm wurde von ihm dur< die Agentur Havas mit dieſem Widerſpruche in die Welt hinausgeſchit, während das betreffende Decret ſich bereits in den Druckereien befand und am 7. October Morgens in den türfiſhen Zeitungen zu (leſen 1var.

Die Alt-Türken ſ{<munzelten vergnügt, denn ihr Großvezier Mahmud Paſcha hatte den fräufiſhen Giauren eine hübſhe Naſe gedreht. Jm Uebrigen dauerte das tolle Treiben ungeſtört fort: Abſeßungen, Willkür-Acte, Verſchwendung aller Art ; andererſeits die armen Soldaten in Bosnien und in der Herzegowina allen Unbilden eines rauhen Winters ausgeſeßt, ohue Sold, ohne zwe>mäßige Bekleidung, ohne ausreichende Nahrung, ohne Hilfe bei den zahlloſen Krankheiten. Aber was ſchadete es? So lange die Stambuler Effendis (Gebieter) no< ihre Harems mit ſ{hönen Tſcherkeſſenmädchen verſorgt, ihre Ställe mit arabiſhen NRacepferden angefüllt, ihre Wagenſ<huppen mit glänzenden Equipagen ausgeſtattet ſahen, hatte es no< keine Noth; und —- auh hier galt das berüchtigte: „Nach unus die Sündluth 1“

Die weiteren Ereigniſſe wurden bereits erzählt; am 11. Mai 1876 bewirkte die Drohberegung der Softas von Conſtantinopel den Sturz des Großveziers, der ſih darauf in ſeine halb freiwillige, halb unfreiwillige Verbannung in Tſchesme, der Juſel Chios gegenüber, begab.

Der Mord der beiden hervorragenden Staatsmänner Huſſein Avni Paſcha und Naſchid Paſcha war entſchieden von großer politiſcher Tragweite. Die Beſeitigung des Erſteren, des alttürfkfiſhen Reformgegners, erſchien nur als die blutige Folge der. Beſeitigung des Ex-Sultans. Jun der That hatte ſih der durch die lettere geſchaffene Zuſtand in Conſtantinopel bereits nah vierzehntägiger Dauer als gänzli< unhaltbar erwieſen, und zwar weil erſtens durch. den Widerſtand Huſſein Avnis ‘jede Reform bedroht erſchien, und zweitens, weil der Hauptplan der Nevolutionäre, die Staalscaſſen mit dem Gelde Avdul Aziz zu füllen, ſcheiterte, da die vorgefundenen Schäue desſelben faum hinreichten, um

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des neuen Sultans Murad V. ungeheuere Privatſhulden zu tilgen.

Die Regierung gab keine beſtimmten Mittheilungen über den Betrag der Summen, welche den Privatſhaß von Abdul Aziz ausmachten. Alles, was inan diesbezüglih erklärte, reducirte ſih auf einen Betrag von ſieben ein halb Millionen Conſolidés (Nominalwerth) und eine Summe von 95.000 türkiſche Livres. Dieſes Schweigen der Regierung in einer Frage, welche die öffentliche Meinung ſo lebhaft aufregte, berührte die Banken von Galata peinlich, die dur< ihre Vorſchüſſe für die Civilliſte ſtark engagirt waren und ein Recht zu haben glaubten, wenn niht die Hand: auf dieſes Geld zu legen, ſo do< über den Betrag der Summen unterrichtet zu werden, welche ſie als ein Pfand ihres Guthabens betrachteten.

Die Nachforſhungen na<h den Schäßen des Ex-Sultans wurden jedo< insgeheim eifrigſt fortgeſeßt. Von den Krondiamanten wurden {on viele wieder aufgefunden, auh der größte Diamant des türkiſchen Krouſchaßes, der ſogenannte Tschoban Taschi (Hirtenſtein), der ſeit mehreren Fahren vermißt wurde, fand ſi< bei dieſem Anlaſſe wieder. Sultan Abdul Aziz hatte ihn einſt aus dem faiſerlihen Schaße ſi< bringen laſſen und ihn nie wieder abgeliefert; in den leßten Fahren, wo er ſhon unter dem Einfluſſe ſeiner Geiſtes8zerrüttung ſtand, ſoll er ihn einem Lotterbuben geſchenkt haben; er fand ſi< jedo< unter den Effecten der Sultanin-Mutter.

Troh aller Nachforſhungen fand man aber von ‘dem zur fabelhaften Größe aufgeblähten Privatſchaße des Sultans thatſächli<h nur einen fleinen Theil. Man redete niht nur von Millionen türfiſher Pfunde zu je hundert Piaſter (oder ſehs Thaler, ſieben ein halb Silbergroſchen das Stück), die ſi< im Schaße des Sultans und ſeiner Mutter befunden haben ſollten, ſondern man erzählte ſi<h allen Ernſtes, daß der Geſammtbelauf ſi< auf dreißig Millionen Lire (185 Millionen Thaler) erhebe. Noch befremdtiher mußte es erſcheinen, daß die Miniſter ſelbſt an das Vorhandenſein ſehr bedeutender Baarſummen geglaubt zu haben ſcheinen. Unter den allerdings ſehr mannigfahen Motiven, welche ſie zu dem Entſchluß beſtimmten, den Sultan Abdul Aziz des Thrones zu entſezen, ſcheint jene Vorausſeßung und die Hoffnung, mindeſtens momentau dur< den bezüglihen Wechſel des Souverains der Geldklemme abhelfen zu fönnen, eines der am meiſten mitbeſtimmenden geweſen zu ſein. Leider erfuhr man zu ſpät, daß man ſi< einer argen Täuſchung hingegeben. !

Man fand ferner unter dem Nachlaſſe des Ex-Sultaus einen „Bon“ (Zahlſchein auf Sicht), der demſelben im Falle der Genehmigung der von Palmer in London in Gemeinſchaft mit der Banque de Constantinople vorgeſ<hlagenen