Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, стр. 631

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Das türkiſche Donau-Feſtungs-Yiere>.

Am 17. April Abends traf der Serdar Ekrem (Krieg8miniſter) Abd ul Kerim Paſa, von Schumla - kommend, in Ruſtſchuk ein, beſihtigte am folgenden Tage die Feſtungswerke mit einer geradezu unbegreiflihen Eilfertigkeit und fuhr denſelben Nahmittag mit einem Kriegsdampfer nah Siliſtria weiter. Von dort wollte er ſi<h na< Widdin begeben.

Der Serdar iſ ein Türke von altem Schrot und Korn, wie ſie dermalen leider nur noh ausnahmsweiſe anzutreffen waren. Seine Laufbahn verdankte er niht, wie die meiſten anderen Würdenträger, einem 'auf die Spite getriebenen Türkenthume, ſondern vielmehr der Geradheit und Biederkeit ſeines nah der altöſterreihiſhen GutmüthigkeitundPflichttreuezugeſchliffenen Charakters. Er iſ nämlich unter der Leitung des k. k. Feldzeugmeiſters von Hauslab in ſeiner Jugend eine Reihe von Jahren bindur< in Wien nict nur im Deutſchen, ſondern auh in den Grundkenntniſſen der militäriſchen Wiſſenſchaften untexrihtet worden und trägt demna< den Stempel der germaniſchen Zuverläſſigkeit. Zwar hat er im Laufe der Zeit die Uebung im Deutſchſprechen etwas verloren, demungeachtet aber weiß er \ſih in unſerer Mundart recht klar auszudrü>en und lieſt namentli< auh die deutſchen Zeitungen mit Vorliebe.

Von dem heuchleriſhen, höfiſchen Geſichterſhneiden und Prahlen, welches die in Paris erzogenen, das Franzöſiſche mit mehr oder minderer Geläufigkeit ſ{<wabßenden Türken kennzeichnet, bemerkt man bei ihm feine Spuren. Er dürfte bereits ho< in den Sechzigern ſein, denn {on zur Zeit des Krimkrieges befehligte er anfangs die anatoliſhe, um Erzerum und Kars operirende Armee, und zwar mit wenig Glü>k, weil man ihm . diplomatiſh die Hände gebunden und die nöthigen Mittel verweigert hatte. Diesmal mochte dies wohl nicht ſo leiht wieder vorkommen. Sein broncirtes, von weißen Haaren und einem weißen rundgeſhnittenen Vollbart umrahmtes Geſicht bietet niht nur dem Sturm der Zeit, ſondern auh den mannigfahen Sorgen ſeiner verxantwortlichen hohen Stellung in immer gleicher Ruhe und Sicherheit Troß,

Seiner ganzen Anlage nah iſ der Serdar fein Heißſporn, kein jugendlicher Eroberer, der vor Begierde brennt, an den Feind zu kommen, indem er ihn plößli< überfällt, na<hdem er denſelben dur< raſtloſe Gegenmärſche ermüdet und irregeführt hat. Er ſchien weit eher der Mann des unerſchütterlihen Abwartens, ein Fabius Cunctator (Zauderer) zu ſein.

Am Abend vor ſeiner Abreiſe zur DonauArmee hatte der Generaliſſimus Ab dul Kerim

Paſcha noch die Freude, die Hand ſeiner Lieblingstohter Ruchia in die eines Offiziers aus ſeinem eigenen Generalſtabe legen zu können. Der Hoczeits\<hmaus ward dann in aller Stille im Hauſe des Generaliſſimus abgehalten und {hon am anderen Morgen in den erſten Vormittagsſtunden verließen Schwiegervater und Schwiegerſohn vereint Conſtantinopel, um ſih auf's S<hlachtfeld zu begeben. Die junge Frau blieb vorläufig im Hauſe ihres Vaters zurü>.

Betrachten wir nun die ſi bietenden möglichen Donau-Uebergänge durch die Ruſſen:

Ruſtſchuk, hoch gelegen und gut vertheidigt, beherrſht vollkommen das am rumäniſchen Ufer tiefer gelegene Giurgewo mit der Jnſel Ramadan und bildet heute ein ſtarkes Bollwerk gegen einen ruſſiſ<hen Donau-Uebérgang. Am reten Donau-Ufer flußabwärts erſtre>t ſi<h über eine deutſche Meile landeinwärts bis Turtukai ein unwegſamer Sumpf, mit dichten Auen, durhzogen von breiten und tiefen Canälen. Dieſer Sumpf wird ſüdli< von einer ſteil abfallenden Sandund Erdhügelkette begrenzt; am Fuße derſelben zieht ſih die Straße nah Siliſtria, welche theilweiſe gebahnt iſ und hölzerne Brücken hat. Sowohl dieſe, als die davor gelegenen Sümpfe, werden dur<h die oben erwähnte Hügelkette beherrſ<t. Bei Turtukai nähert ſich dieſe Hügelfette ganz dem Strome und bietet dur die beinahe ſenkre<ten Ufer einen natürlihen Wall, welcher ſehr leiht zu befeſtigen iſt. Die einzelnen, tief eingeſchnittenen ſ<hmalen Schluchten und Waſſerriſſe ſind für die Ausſchiffung einer größeren Truppenmaſſe bedeutungslos. Eine Ausnahme davon macht das Ufer bei Esfki Kujaly, vier deutſche Meilen ſtromabwärts von Ruſtſchuk, allwo ſi< eine breite, cultivirte Thalſohle bis beinahe unmittelbar an die Donau erſtre>t und ſüdlich bis in die Nähe von Razgrad (Station der Nuſtſhuk-Varna-Bahn) reicht.

Richlen ww nun den Blik nah dem linken Ufer hinüber, \o liegt hier von Smurda (eine deutſche Meile donauabwärts von Giurgewo) an der vollkommen ungangbaren Balta (Schilfwald) eine undurchdringlihe Schilfwüſte, mit tiefen Canälen und Teichen, ſelbſt bei niedrigem Wafſerſtande überſhwemmt. Derſelbe erſtre>t ſi<h mehrere Meilen in's Land hinein und flußabwärts bis gegenüber von Hirſowa zur Mündung des «Felimißa-Flüßchens.

Die tief eingeſchnittenen und ziemli<h breiten Thäler von Siliſtria und Czernawoda auf dem re<ten Ufer find gut befeſtigt und leicht auh gegen eine große Uebermacht zu vertheidigen. Gleich unterhalb Hirſowa iſt der Fall des Fluſſes ein geringer, die Donau zwar breit, aber niht

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