Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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feierlichen Gelegenh-it, König und Königin ſaßen im Fond des Wagens, die Oberhofmeiſterin und eine der Hofdamen ihnen gegenüber. Der König hatte einen kleinen Aerger ge= habt, war verdrießlih und ſchalt, während die arme Königin, die an der Sache niht ganz unbetheiligt war, ſ{hweigend und betrübt daneben ſaß. Jhre geliebte Königin betrübt, das konnte die Oberhofmeiſterin niht mit anſehen. Eben begegneten ſie einem Leichenzug und den Sarg betrachtend, ſagte ſie halblaut vor ſih hin: „Der Glückliche.“ — „Warum denn glü>li<h?“ unterbrah der König fie verwundert. „Er kann nicht hören“, war die lakoniſche Antwort, und der König ſ{<wieg.

Abex Antworten dieſer Art waren nux etwas Ausnahmsweiſes und die immer gleih gute Laune, die heitere Freundlichkeit und Friſche des Humors dex alten Gräfin machten den Verkehr mit ihr, die nie einen Anflug von Schärfe oder Verſtimmung kannte, ebenſo anregend als wohlthuend. Sie erzählte gern aus ihrem vergangenen Leben, beſonders von den Reiſen mit der hochſeligen Königin, unter Anderm eine Anekdote aus dem Jahre 1808, wo ſie mit der Königin nah einem Städtchen in der Nähe von Königsberg gekommen war und Damen des Landadels aus der Umgegend ſih gemeldet hatten, um vorgeſtellt zu werden. Eine derſelben fragte, ob es geſtattet ſei, bci einer ſolchen Präſentation Diamanten zu tragen. „Ach gewiß, tragen Sie nur alle FJhre Juwelen“, entgegnete die Oberhofmeiſterin fehr erfreut, „es wird FJhrer Majeſtät ein Troſt ſein, daß noh Jemand welche gerettet hat — wir haben lange keine mehr geſehen!“ — Allgemeine Spannung, man iſt erwartungsvoll, die Brillanten der glücklichen Frau von N. zu ſehen. Die