Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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dann hinauf zum König, ihm ehrerbietig vorzuſtellen, daß für die Prinzeſſin ein Schlitten, der nux einen Siß für den Kutſcher habe, nux dann paſſend und erlaubt ſei, wenn einer der Prinzen oder der Oberſtallmeiſter die Prinzeſſin ſelbſt fahre, aber niht der Kutſcher; und der gute König dankte ihr und ſagte begütigend, er habe das niht bedaht. Auch wer in den Hofkreiſen gegen die Sitte verſtieß, konnte ſicher ſein, es bald zu erfahren; ſelbſt einer fremden jungen Dame, die bei einem großen Souper an Hof beim Eſſen thre Handſ{<uhe anbehalten hatte, ließ die Oberhofmeiſterin einfach dur einen Lakaien ſagen , ſie bäte das Fräulein, ihre Hand=ſchuhe auszuziehen! — Dem König gegenüber, der ſie fo gerne hatte und fie ſchr verzog, überſchritt ihr franc-parler und ihre Offenherzigkeit vielleicht zuweilen die Grenze des Exrlaubten. Sie machte den wechſelnden Moden nur geringe Conceſſionen, groß, ſchlank und von vornehmer Haltung, bis zuleßt ungebeugt und gerade wie eine Kerze, ſtanden ihr die Schuhe mit hohen Abſäßen, die Pochen und das gepuderte Haar nict übel, die ſie von Jugend auf zu tragen gewohnt war. Noch immer, während ſie bei ihrer Toilette ſaß und man ſie puderte und friſirte, empfing ſie ihre Beſuche, wie das im vorigen Jahrhundert Sitte geweſen, und der König pflegte gerade um dieſe Zeit, ehe er ausging, ziemlih regelmäßig bei ihx einzutreten und ſih mit den Anweſenden zu unter= halten. Ex machte ſi<h dann den Spaß, im Vorzimmer ihren großen Papagei zu ne>en und kam eines Tages ſehr ärgerlich, ſih befklagend, das Thier habe ihn ganz herzhaft gebiſſen, worauf er die unbekümmerte Antwort erhielt: „Majeſtät werden es wohl darnah gemacht haben!“ —

Eines Tages ſollte ausgefahren werden zu irgend einer