Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel
— 457 —
um ſie und mate ſie zum Mittelpunkt in jeder Weiſe. Wenn ihre Urenkel einmal vom Lande herein kamen, wax ſie ganz Großmutter und konnte die Kinder niht genug um ſih haben. Oft kamen ſie ſchon zu ihrem Frühſtück und zu der Stunde, wo ſie täglich zum König hinaufging, ſeine Be= ſchle einzuholen und ihm Bericht über die Prinzeſſinnen abzuſtatten, brachte ſie den kleinen Felix und ſeine älteſte Schweſter zuweilen an dex Hand in des Königs Zimmer mit den Worten: „Jh muß Majeſtät doh einmal wieder meine Enkel zeigen“, und der gute König fand dies ganz in der Ordnung und begegnete den Kindern mit ſeiner gewohn= ten Freundlichkeit und Giite.
Dex König hatte mit dem Band des ſchwarzen Adler-= ordens der Gräfin einen beſonderen Rang gegeben und die Wachen mußten für fie in's Gewehr ‘treten, wie für die Königlichen Prinzeſſinnen. Das Hauptentzücken dex Kinder ivar nun, mit dex Großmuttex ſpazieren zu fahren, vor Allem zum Brandenburger Thor hinaus an der Wache vorbei und lachend mahnte ſie dann die Aufhorchenden: „Paßt auf, jeßt werden ſie trommeln!“ — Troß der ſ{hli<ten Einfachheit in ihrem Weſen hielt ſie doh ſehr ſtreng auf Anſtand, gute Manieren und das, iwas in den Sitten des Hofes hergebracht und paſſend war, und betrachtete die Wachſamkeit über dies Gebiet als eine Pflichtforderung ihres Amtes. Einſtmals fam die bereits heranwachſende Prinzeß Charlotte jubelnd in ihr Zimmer, um zu ſagen, der König habe erlaubt, daß ſie allein mit ihrer Hofdame Schlitten fahren dürfe. „Es thut mix leid, Königliche Hoheit, aber das darf niht ſein“, entgegnete freundli<h die alte Gräfin, ſhite ſofort nah den Stallungen, der Schlitten ſolle niht vorfahren, und ging