Zwölf Tage auf Montenegro : Heft 1. Reisebericht

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Der Vladika ſprah nur Weniges und dieſes ſo ruhig und wie es ſchien, ſo überzeugend, daß beide Parteien eine Zeit lang beruhigt ſtille daſtanden , bis denn endlich derjenige, der Unrecht behielt, doh noch irgend etwas Neues zur Erwiederung hervor=zubringen verſuchte. Plöblich fing es wieder an zu regnen. Der Vladika erhob ſich ohne Weiteres von ſeinem Site, eilte ſeiner Wohnung zu; die Begleitung lief auseinander und die ganze Debatte war beendigt, ſo daß die Montenegriner ruhig nach Hauſe gingen.

Bei der ganzen Verhandlung war das Benehmen des Vladika mehr das eines rathenden Freundes, als eines nur rechtſprechenden Richters geweſen. Wie damals, ſo machte Überhaupt dieſes eigenthümliche gegenſeitige Verhältniß, indem in Montene=gro das Oberhaupt des Landes zu den Landeseingebornen ſteht, einen angenehmen Eindru> auf mich. Es iſt das Verhältniß eines Vaters zu Kindern, oder doch wenigſtens eines Erziehers, Freundes zu ſeinen Zöglingen Wie immer, wo ein Volk in ſeiner Entwickelung noh auf einer niederen Stufe ſteht, \o finden ſich auch in Montenegro deutlich Züge eines traulichen, eines gewiſſen Familien Verhältniſſes, das uns in der Geſchichte der älteſten Völker ſo oft entgegen tritt. Mie in damaliger Zeit, ſo verſammeln ſich noch heut zu Tage in Montenegro die Landeseinwohner, entweder um den Vladifa, oder um das durch Ehrwürdigkeit, Verſtändigkeit , oder ein Anſehen welcher Art ſonſt am meiſten hervorragende Mitglied einer Familie, legen Rath ſuchend ihre Streitigkeiten ſeiner Entſcheidung vor, und es geht Überhaupt von ihm die Leitung und Verknüpfung des Familienbandes aus. Wo die Stimme des Familienobechauptes nicht ausreicht, werden die verwandten Stämme zur Berathung - gezogen, und wie unter Brüdern wird wo möglich friedlich jeder Streit beigelegt, oder in Fällen, wo von Außen her Gefahr droht, vereinen ſich Alle für Einen, wie jeder Einzelne für Alle zu kämpfen bereit iſt.