Zwölf Tage auf Montenegro : Heft 1. Reisebericht

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éüſſend. Es ergab ſich, daß ſie wegen einer Streitigkeit zu ihm gekommen waren und ſeinen Urtheilsſpruch hören wollten. Der Vladika willigte in ihr Anliegen, ſchritt nah dem Hauſe, in welchem ih wohnte, zu, und ließ ſih auf einer vor demſelben befindlichen ſteinernen Bank nieder, winkte mir freundlich, mich zu ſeiner Linken zu ſegen, während Herr von Tſcheffin zur Rechzten und die Uebrigen aus dem Gefolge neben uns Plas nahmen. Darauf ſtelltèn ſi die uneinigen Montenegriner in zwei Parteien vor uns auf. Die beiden Streitenden hatten ſih wegen ihrer A>ergrenzen entzweit, und ſuchten nun, mit dem Beiſtande einer beträchtlichen Anzahl Zeugen, die ihnen nah Cettigne gefolgt waren, ihr Recht vor dem Vladika geltend zu machen. Ob ih gleih den Junhalt der Verhandlungen den Worten nach niht wieder geben kann, ſo halte ih doch die Art und Weiſe des Benehmens, ſowohl der ſtreitenden Parteien, als das des Vladika einer beſonderen Schilderung werth, weil darin manches Eigenthüimliche lag. Zunächſt begann der Kläger der beiden ſtreitenden Montenegriner, welche einige Schritte vorgetreten ' waren und hinter ſih jeder, Schulter an Schulter geſchloſſen, einen fleinen Chor von Zeugen hatten, ſeine ausführliche Darlegung des ſtreitigen Gegenſtandes. Seine Rede war fließend

und nachdrü>lih und ſeine Geſtikulation ſehr lebhaft. Er hatte ſich mehr gegen ſeinen Gegner und deſſen Begleiter, als gegen den Vladika gewandt, den er nur zuweilen mit dem üblichen Worte Gospodàre (Herr) anredete. Während ſeiner Rede herrſchte das tiefſte Stillſchweigen, und ſein Gegner unterbrach ihn auh niht mit einer Sylbe. Als er geendet hatte, wandte er ſich fragend zu den hinter ihm Stehenden, welche mit tvenigen übereinſtimmenden Worten ſeine Ausſage beſtätigten. Darauf trug der Angeklagte ſeine Rechtfertigung vor und auch ſeine Rede unterbrach Niemand, und ſeine Zeugen ſprachen für ihn. Als aber der Vladika nur eine Frage gethan hatte, begann ein abwechſelndes, heftiges Disputiren der Entzweiten, und die Zeugen der einen Partei ſuchten den Gegner und ſeine Partei zu überführen; ja, ſie riefen ihn laut bei ſeinem Namen, indem ſie ihn. die Wahrheit zu ſagen beſchworen. Der ſonſt von mir ſchon öfter bei den Montenegrinern wahrgenommene Fluß der Rede zeigte ſ< auh hier in ſeiner ganzen Lebendigkeit.