Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle e NS

für ſie handelte, daß fie cinmal blindlings fich einem fremden Willen überlaſſen durfte. Die Sterne ſtanden hell am Himmel, als fie am Arm ihres Begleiters dur< die ſ{<önen Anlagen Würzburgs ſchritt. “ Maxwell ſprach immerzu vom Weiterwandern, von fremden Gegenden, in die er ſie fortführen möchte; ihr aber war's, als thue ſich ihr jebt zum erſten Male eine feſte, ſichere Heimſtätte auf an einem treuen Herzen. — —

Emilie hatte den langen Tag träumend am Fenſter geſeſſen und hatte geharrt auf das Glück. Es war ſo ſtill um fie her, als ſei ſie das ſ{<lafende Dornröschen, das erſt dur< den Kuß des Geliebten zum Leben erwe>t wer= den mußte. Die Dienerin hielt ihre Herrin, die keine Speiſe zu ſi<h nahm und ſih niht regte, für krank, und [{<li< nur auf den Zehenſpißen dux<h das Gemach.

Doch die Sonne ſank und ex kam nicht. Emilie ſaß mit offenen Augen auf den Kiſſen und hor<hte hinaus in die ſ<hweigende Nacht. Die Schwalben zwitſcherten wieder, ein neuer Tag fam und ging, ein zweiter und dritter, ſie blieb no< immer allein. Nun fam die Ruheloſigkeit des Wartens übex ſie, ſie fand weder Schlaf no<h Raſt; plößlich überfiel ſie die heiße Angſt, Bertha habe den Brief nux geſchrieben, um ſie dur einen Betrug an's Leben zu feſſeln, um ihr eine Hoſſnung zu we>en, die ſich nie erfüllen würde. Mit zitternden Händen öffnete ſie das Schubfach, in wel= hes ſie jene weißen Pulver vox Bertha/s Augen verborgen hatte. Es war eine Doſis Morphium, in verſchiedenen Apo= theken zuſammengekauft; ſie würde wohl reichen für einen langen, langen, endloſen Schlaf. -