Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

466 Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katzen.

Der Leopard oder Panther iſ die ſchönſte aller Kaßen auf dem Erdenrund. Wohl ſehen wir im Löwen den König der Tiere; wohl gilt der Tiger als der gefährlichſte unter der grauſamen Geſellſchaft; wohl beſibt der Dzelot ein farbenreicheres Kleid: hinſichtlich der Einhelligkeit des Leibesbaues, der Schönheit der Fellzeichnung, der Kraft und Gewandtheit, Anmut und Zierlichkeit der Bewegungen aber ſtehen ſie und alle übrigen Katen hinter dem Leoparden zurü>. Er vereinigt alles in ſih, was die einzelnen Katen im beſonderen auszeichnet, weil er deren Eigenſchaften in leiblicher wie in geiſtiger Hinſicht in vollkommenſter Weiſe zur Geltung bringt. Seine ſamtne Pfote wetteifert an Weiche mit der unſeres Hinz: aber ſie birgt eine Klaue, welche mit jeder anderen ſi< meſſen kann; ſein Gebiß iſt verhältnismäßig viel gewaltiger als das ſeines königlihen Verwandten. Ebenſo ſ{hön wie geſ<hmeidig, ebenſo kräftig wie behend, ebenſo kühn wie verſchlagen zeigt er das Raubtier in vollendeter Ausbildung.

Auf den erſten Bli> hin will es ſcheinen, als wäre das Kleid des Leoparden viel zu bunt für einen Näuber, welcher durch lauerndes Verſte>en und Anſchleichen ſeine Beute gewinnen und vor dem ſcharfen Auge derſelben ſi< de>en muß. Allein bei einer oberflächlichen Betrachtung der Gegenden, in welchen das Tier heimiſch iſ, muß jede derartige Meinung verſchwinden. Wer ſeine Wohngebiete aus eigener Erfahrung kennt, findet es ganz natürlih, daß zwiſchen ihrer Vegetation und ihrem Geſteine ein ſo farbenreiches Geſchöpf, ſelbſt in ſehr geringer Entfernung, überſehen werden kann. Er findet ſi< überall, wo es zuſammenhängende, dichte und hohwüchſige oder auh nur dünn beſtandene Waldungen gibt, und zwar in verhältnismäßig großer Menge. Graſige Ebenen liebt er niht, obwohl er in der Steppe eine keineswegs ſeltene Erſcheinung iſt, und in beſiedelten Gegenden liegt er oft in Feldern und Pflanzungen oder im angrenzenden Geſträuche. Sehr gern zieht er ſih in das Gebirge zurü>, deſſen reihbewachſene Höhen ihm nicht nur treffliche Verſte>pläße, ſondern auch reihlihe Beute gewähren. Jn Abeſſinien bietet ihm no< ein Höhengürtel von 2000—3000 m über dem Meere alle Annehmlichkeiten, welche er ſi<h wünſchen kann. Gar niht ſelten ſucht er ſi< ſeinen Aufenthaltsort nahe an den menſhli<hen Wohnungen oder in dieſen ſelbſt und unternimmt von hier aus ſeine Raubzüge. So erzählte mir Schimper, daß ein Leopard in einem Hauſe der Stadt Adua in Abeſſinien ſogar Junge warf. Unter allen Umſtänden aber wählt ſih der ſ{<hlaue Räuber Pläge, welche ihn ſoviel wie mögli dem Auge entziehen.

Ungeachtet ſeiner nicht eben bedeutenden Größe iſ der Leopard ein wahrhaft furchtbarer Feind aller Tiere und ſelbſt des Menſchen, obgleich er dieſem fo lange ausweicht, wie es angeht. Jn allen Leibesübungen Meiſter und liſtiger als andere Raubtiere, verſteht er es, ſelbſt das flüchtigſte oder ſcheueſte Wild zu berü>en. Jm Klettern ſteht er nur wenig anderen Kazen na<h. Man trifft ihn faſt ebenſo oft auf Bäumen wie in einem Buſche verſte>t. Bei Verfolgung bäumt er regelmäßig. Wenn es ſein muß, ſteht er niht an, über ziemlich breite Ströme zu ſ{hwimmen. Erſt bei ſeinen Bewegungen zeigt er ſi in ſeiner vollen Schönheit. Jede einzelne iſt ſo biegſam, ſo federnd, gewandt und behend, daß man an dem Tiere ſeine wahre Freude haben muß, ſo ſehr man auch den Räuber haſſen mag. Da kann man nichts gewahren, was irgend eine Anſtrengung bekundet. Der Körper windet und dreht ſih nah allen Richtungen hin, und der Fuß tritt ſo leiſe auf, als ob er den leihteſten Körper trüge. Jede Biegung iſt zierlih, gerundet und weich: furz, ein laufender oder \<leihender Leopard wird für jedermann zu einer wahren Augenweide wie nur noch ein zweiter, wenn auh weit kleinerer Räuber: die Genettkage.

Leider ſteht ſein geiſtiges Weſen mit ſeiner Leibesſhöne, wenigſtens nah unſeren Anforderungen, niht im Einklange. Der Leopard iſt verſhlagen, brshaft, wild, mordluſtig, rahſü<htig und dabei nihts weniger als feig. Fn Afrika nennt man ihn, wie in Amerifa