Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

470 Vierte Ordnung: Naubtiere; erſte Familie: Kagen.

Nach Sterndale und Forſyth litt beſonders Ende der fünfziger Jahre die Bevölkerung der Zentralprovinzen dur< die Panther, und Forſyth erzählt von einem, der 1858 in Seoni beinahe 100 Perſonen umbrachte, ehe er einem Schikari erlag. Er \{<li< in die Häuſer, um Schläfer im Bette zu erwürgen, und erkletterte Bäume ſowie Gerüſte, um die Feldwächter zu erbeuten. Wurde er von einem Ende des Dorfes verſcheucht, ſo eilte er nah dem anderen und fing dort während des Tumultes ein Opfer. Auf dasſelbe Tier beziehen ſich die viel ſ{limmer lautenden Angaben des anderen Augenzeugen, Sterndale, wonah der Menſchenfreſſer ein Gebiet von einigen 30 km Durchmeſſer 3 Jahre lang heimſuchte und über 200 Menſchen tötete, einmal 3 in einer einzigen Nacht. Er ſcien oft nur aus reiner Luſt zu töten, denn vielfah wurden ſeine Opfer bis auf die zerbiſſene Kehle völlig unverſehrt geſunden. Sterndale unterſcheidet zwar gerade dieſes Tier ausdrü>lih als Leopard vom Panther, woraus aber nicht zu ſchließen, daß es zu den kleineren der Art gehörte, weil er die gebräuchlichen Bezeichnungen umgekehrt verwendet. Nach ſeinen Angaben war es bei aller Verwegenheit doh außergewöhnlich feig und konnte durh Geſchrei und Zulauf von ſeinem Opfer verjagt werden.

Auch an dieſes Tier heftete ſih die Werwolfſage. Mann und Frau kehrten heim von einer Pilgerfahrt nah Benares; ſie begegneten einem großen Panther, der die Frau in Furcht verſeßte. Der Mann ermutigte ſie mit der Verſicherung, er führe ein Pulver bei ſich, das er eiznehme und ſih dann in jegliches Weſen verwandeln könne. Er gab es der Frau, damit ſie ihm den Reſt eingebe, wenn ex wiederkäme, verſhlu>te einen Teil davon, wurde zu einem Panther und verjagte den wirklichen, der im Wege ſtand. Als er aber zurü>kehrte, um wieder ſeine wahre Geſtalt anzunehmen, entſeßte ſih die Frau vor ihm und ließ den Reſt des Zaubermittels in den Shmußg fallen, wo es verloren ging. So mußte der Mann ein Panther bleiben, tötete in der Wut erſt ſeine Frau und wurde dann der furhtbare Menſchenfreſſer von Seoni.

Wenn nun auch die Berichte keineswegs übereinſtimmen, ſo können wir doh mit Blanford annehmen, daß in manchen Gebieten Fndiens in der That mitunter au< Panther zu regelre<ten Menſchenfreſſern werden. Die Verſührung mag viel dazu beitragen, wie denn die vorerwähnten Fälle ſih gerade zur Zeit des blutigen Militäraufſtandes ereigneten, der Leichen genug zum Fraße lieferte und die Tiere an Menſchenfleiſ<h gewöhnte. Empfängt man doch den Eindru>, als hätten um jene Zeit auh die menſchenfreſſenden Tiger am ſ<limmſten gewütet. Näh Tennent wäre faſt zu glauben, daß Panther auf Ceylon ſi< ebenfalls dem Menſchenraube ergeben, doh ſind die Angaben nicht genau genug, denn ſie laſſen niht notwendig auf das Treiben eines Menſchenſreſſers im vollen Sinne des Wortes \<ließen; ſolhe Unglücksfälle ereignen ſi<h vielmehr gelegentlih allenthalben, wo unſere Räuber hauſen. Der Leopard oder Panther gilt eben deswegen für gefährlicher als der doh meiſt mit zu großer Freude am Schre>lichen geſchilderte Tiger, weil ex mutiger und verwegener iſt, niht die Scheu vor dem Menſchen beſißt und ebenſogut wie ein Haustier auch ein Kind oder einen Erwachſenen greift, je nachdem ſie ihm gerade in den Wurf kommen. Harmlos wie den wildtötenden oder viehraubenden Tiger nennt ihn niemand in Jndien.

Blanford führt an, er habe vielleicht eine Vorliebe für Schakale und Hunde; Sanderſon nennt bloß Hunde. Jm übrigen aber überfällt und frißt er alles, was ſi< ihm darbietet: Rinder, Pferde, Eſel, Schafe, Ziegen, Shweine, Antilopen, Affen, Pfauen, Hühner und alles kleinere Getier bis zur Maus und Eidechſe; au< Aas verſhmäht er nicht. Reiſenden und Jägern hat er Pferde am Lagerplaße überfallen, doh wird kein Fall angeführt, daß er Perſonen des Gefolges geraubt habe. Großen Tieren ſoll er gleih dem Löwen und Tiger vielfah das Geni> brehen — Baker berichtet einen ſol<hen Fall von einem ſtarken Stiere in Ceylon —, häufig aber auh bloß die Kehle aufreißen wie den tleineren.