Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

26 Ein Blik auf das Leben der Geſamtheit.

verhält. Unſere nordiſhen Säugetiere aber hären ſih ſamt und ſonders und zwar in einer weſentlich ſich gleichbleibenden Weiſe. Nachdem die kalte Jahreszeit vorüber und der Frühling wirkli eingetreten iſt, lo>ern ſi< die Wurzeln der Haare des bisher getragenen Kleides, und es fallen Grannen- und Wollhaare aus. Gleichzeitig ſproſſen neue Grannenhaare hervor, wachſen ziemli<h raſh und durchdringen das filzige Gewebe des alten abgeſtoßenen Pelzes, welcher, wenn er rei<h wax, no< geraume Zeit in flo>igen Feßen am Leibe hängen bleibt und erſt na< und nah abgekraßt, abgeſcheuert und abgeweht wird; bald darauf beginnt au< das- Nachwachſen der Wollhaare, deren raſchere Entwi>elung jedo< erſt ſpäter im Jahre erfolgt. Es beſteht daher das Sommerkleid der Säugetiere höherer Breitengrade und Gebirgsgürtel überwiegend aus Grannenhaaren, während im Winterkleide die Wollhaare vorherrſchen, erſtere mit Beginn der kalten Fahreszeit wohl auh gänzli<h wieder ausfallen können. So geſchieht es beiſpiel3weiſe bei unſeren Hochwildarten, deren Decke im Sommer aus Grannen- und wenigen, hier eigentümlich veränderten Wollhaaren, im Winter dagegen faſt aus\<ließli<h aus leßteren beſteht. Eine doppelte Härung, d. h. ein vollſtändiges Wechſeln des Kleides im Frühlinge und im Herbſte, findet meines Wiſſens bei keinem Säugetiere ſtatt; wohl aber kann ein Ausbleichen und Umfärben der Haare erfolgen. Die Härung beginnt plöulih, das Nachwachſen der neuen Haare geſchieht allmählih. Selbſt ſehr tlüihtige Beobachter haben angenommen, daß das Fell ſolcher Tiere, welche ein dunkles Sommer- und ein weißes Winterkleid tragen, einer zweimaligen Härung unterworfen ſei, ſih jedo<, wie meine an gefangenen Eisfüchſen und Schneehaſen angeſtellten, ſpäter mitzuteilenden Beobachtungen unwiderlegli<h darthun, vollſtändig geirrt.

Bei weitem die meiſten Säugetiere ſind geſellig und ſcharen ſi<h deshalb mit anderen ihrer Art oder auh mit Gleichlebenden fremder Arten in fleine oder große Trupps zuſammen. Niemals erlangen ſol<he Verbindungen die Nusdehnung oder Kopfzahl der Flüge, welche die Vögel bilden; denn bei dieſen thun ſi<, wie bekannt, oft ſogar Millionen zu einem Ganzen zuſammen. Bei den Säugern kommen nur unter gewiſſen Umſtänden Geſell: ſchaften von Tauſenden vor. Mehr noch als die gleiche Lebensweiſe vereinigt die Not: vor der Feuerlinie einer brennenden Steppe weichen ſelbſt erklärte Feinde in dichtem Gedränge.

Sn vielen größeren Geſellſchaften erwirbt ſich das befähigtſte Mitglied die Oberherrſchaft und exlangt \{ließli< unbedingten Gehorſam. Unter den Wiederkäuern kommen regelmäßig die alten Weibchen zu ſolher Ehre, namentlich diejenigen, welhe kinderlos ſind; bei anderen geſelligen Tieren, z. B. bei den Affen, werden nur Männchen Zugführer und zwarx erſt nach ſehr hartnä>igem, nebenbuhleriſhem Kampfe, aus dem ſie endlihh als all: gemein gefürchtete Sieger hervorgehen: hier iſt die rohe Stärke maßgebend, bei jenen die Erfahrung oder der gute Wille. Das erwählte oder wenigſtens anerkannte Leittier übernimmt die Sorge für den Schuß und die Sicherheit der ganzen Herde und verteidigt die ſ<wachen Glieder derſelben zuweilen mit Aufopferung. Minder Verſtändige und Shwächere {ließen ſi Klügeren an und leiſten allen ihren Anordnungen. zur Sicherung Folge.

Gewiſſe Säugetiere leben einſiedleriſh. Alte griesgrämige und bösartige Männchen werden gewöhnlih von dem Rudel oder der Herde verbannt und hierdur<h nux no< mürriſcher und wütender gema<ht. Allein es gibt auh andere Säuger, welche überhaupt ein Einſiedlerleben führen und mit jedem Eindringlinge ſofort in heftigſter Weife den Kampf beginnen. Dabei kommt es nict ſelten vor, daß der Sieger den Beſiegten geradezu auffrißt, und zwar läßt ſi, wie bekannt, ſhon der Menſch eine ſolche Abſcheulichkeit zu ſchulden kommen.

Die Mehrzahl unſerer Klaſſe wacht bei Tage und ſhläſt bei Nacht; jedoch gibt es faſt unter allen Ordnungen Tag- und Nachttiere. Einzelne haben keine beſtimmte Zeit zum