Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
452 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.
eine ungeheure Maſſe ausmaht. JFhr Weg iſt ſtets unabänderlich derſelbe. Zum Übergange über den Fluß wählen ſie eine Stelle, wo ein tro>ener Thalweg zum Ufer hinabführt und an dem gegenüberſtehenden eine flahe Sandbank ihnen das Hinauffommen erleichtert. Hier drängt ſi< jede einzelne Herde dicht zuſammen, und die ganze Oberfläche bede>t ſih mit ſ{wimmenden Tieren.“ Auf dem Feſtlande Amerikas ſelbſt wandern dic Tiere, wie in Sibirien, von den Gebirgen nah der Küſte und umgekehrt. Nach einer An“gabe Sir Fohn Franklins verlaſſen ſie leßtere mit ihren hier geborenen Jungen im Juli und Auguſt, ſind im Oktober auf der Grenze der kahlen Landſtrihe angelangt und ſuchen im Winter in den Waldungen Schuß und Nahrung. Sobald der Schnee auf den Bergen zu ſ{<melzen beginnt, treten ſie wieder aus den Wäldern heraus und ſteigen allmähli<h in die Ebenen herab. Meuten von Wölfen, denen viele zum Opfer fallen, folgen ihren Zügen, und Fndianerhorden lauern ihnen an allen bekannten, von den Tieren mit größter Regelmäßigkeit eingehaltenen Päſſen auf.
Jn Norwegen wandern die Tiere nicht, ſondern wechſeln höchſtens von einem Gebirgsrüden auf den andern; wie weit, iſt niht ermittelt. Jene Gebirge ſind aber auch ſo beſchaffen, daß ſie ihnen alle Vorteile, welche den ſibiriſchen die Wanderungen bieten, gewähren können. Zur Zeit der Mü>en ziehen die wilden Renntiere einfa<h nah den Gletſchern und Scneefeldern hinauf, im Herbſte, im Winter und im Frühlinge kommen ſie weiter an den Bergen herab. Alle wilden Renntiere lieben die Geſelligkeit in hohem Grade. Jhre Rudel ſind viel ſtärker als die von anderem Hirſchwilde; einzelne Tiere trifft man nur höchſt ſelten an; es ſind dies ſtets alte Hirſche, welhe von dem Rudel abgeſchlagen worden ſind.
Die Renntiere eignen ih ganz vortrefflih, jene nördlichen Länder zu bewohnen, welche im Sommer eigentli<h nur ein Moraſt und im Winter nur ein einziges Schneefeld find. Jhre breiten Hufe erlauben ihnen ebenſogut über die ſumpfigen Stellen und die Schneedede hinwegzugehen wie an den Halden umherzuklettern. Der Gang des Renntieres iſt ein ziemlih ſchneller Schritt oder ein raſcher Trott. Dabei hört man faſt bei jedem Tritte ein eigentümlihes Kniſtern, dem Geräuſche vergleichbar, welches ein elektriſher Funke hervorbringt. F< habe mir viele Mühe gegeben, die Urſache dieſes Geräuſches kennen zu lernen. Nachdem ih das Tier ſo genau wie mögli längere Zeit beobachtet hatte, glaubte ih annehmen zu dürfen, daß das fraglihe Geräuſch von einem Zuſammenſchlagen des Geäfters herrühre, und wirklih fonnte i< dur< Aneinanderreiben der Füße ein ähnliches Kniſtern hervorbringen; allein die Renntiere, welche ih in den Tiergärten beobachtete, belehrten mit, daß meine Anſicht falſch ſei; denn ſie bringen auch dasſelbe Kniſtern hervor, ohne daß ſie einen Fuß von der Erde erheben; ſie kniſtern, ſobald ſie ſi, auf allen vier Füßen feſtſtehend, ein wenig nah vorn oder zur Seite beugen. Daß bei ſolhen Beugungen das Geäfter niht an die Hufe ſhlägt, glaube ih verbürgen zu können. Und ſo bleibt bloß die Annahme übrig, daß das Geräuſch im Jnnern des Gelenkes entſteht, ähnlih wie wenn wir einen Finger anziehen, bis er kna>t. Mit dieſer Anſicht erklärt ſih au< Weinland einverſtanden; dieſe Anſicht verfochten die Lappen, welche ih von Norwegern befragen ließ, und endlih die norwegiſchen Forſcher. Ein Verſuch, welchen man gemacht hat, ſpricht freilich dagegen. Man wi>elte nämlih einem Renn Leinwand um Hufe und Aſterklauen und vernahm dann nicht das geringſte Geräuſh mehr. Dieſer Verſuh würde freilih noh nicht beweiſen, daß, wie der betreffende Naturforſcher annahm, das Kna>ken nur ein Zuſammenſchlagen des Geäfters mit den Hufen ſei; denn ſolches Zuſammenſchlagen müßte man wahrnehmen können, und dies iſt niht der Fall. Junge Renntiere kniſtern übrigens niht, und bei alten endet das ſonderbare Geräuſch, ſobald ſie im tiefen und weichen Shnee waten.
Bei langſamem Gange über moraſtige Flächen breitet das Renntier ſeine Hufe ſo weit aus, daß eine Fährte entſteht, welche weit mehr an die einer Kuh als an die eines Hirſches