Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Renn: Standorte, Bewegungen. Weſen. Nahrung, 453

erinnert, und in gleiher Weiſe ſchreitet es auh über den Schnee, auf welchem es, ſo bald ſi derſelbe nur einigermaßen geſeßt hat, niht mehr einſinkt. Das Schwimmen wird dem Renn ſehr leicht.

Alle höheren Sinne des Renntieres ſind vortreffli<h. Es wittert ganz ausgezeichnet: wie ih mi<h wirkli<h überzeugt habe, bis auf 500 oder 600- Schritt hin; es vernimmt mindeſtens ebenſo ſcharf wie der Hirſh und äugt ſo gut, daß der Jäger alle Urſache hat, auh wenn er gegen den Wind herankommt, ſih aufs ſorgfältigſte zu verbergen. Dabei iſt das Tier le>er, denn es ſucht ſi< nur die beſten Alpenpflanzen heraus, und ſein Gefühl beweiſt es ſehr deutlih, wenn es die Mücken plagen: das zahme Renntier zut bei der leiſeſten Berührung zuſammen. Alle Jäger, welche wilde Renntiere beobachteten, ſchreiben ihnen Klugheit, ja ſelbſt eine gewiſſe Liſt zu: ſcheu und vorſichtig im höchſten Grade ſind ſie unzweifelhaft. Gegen andere Tiere beweiſen ſte nicht die geringſte Scheu. Sie kommen vertrauensvoll an die Kühe und Pferde heran, welche in ihren Höhen weiden, und vereinigen fi<h da, wo es Zahme ihrer Art gibt, ſehr gern mit dieſen, obgleich ſie re<t wohl wiſſen, daß ſie es niht mit ihresgleihen zu thun haben. Hieraus geht hervor, daß ihre Scheu und Furt vor dem Menſchen ein Ergebnis ihrer Erfahrung iſt, und ſomit muß man ihnen einigermaßen entwi>elten Verſtand zugeſtehen. Dies beſtätigen aufs ſchlagendſte die Erfahrungen von W. Kükenthal und A. Walter. Auf Weſtſpißbergen, wo die Renntiere viel gejagt werden, fand Kükenthal ſie 1886 außerordentlih ſcheu; auf Oſtſpißbergen aber fonnte er mit Walter 1889 einmal in 2 Stunden 11 Stü> und zwar aus einem Trupp von 7 deren 6 faſt mühelos erlegen, weil das Wild den Menſchen und ſeine verderblihen Waffen gar niht kannte. „Die Tiere“, ſ<hreibt der Forſcher, „liefen durhaus niht davon, als wir uns aufrichteten, ſondern ſahen uns nur verwundert an; bis auf ein einziges, welches ſi< eines beſſeren beſann und ſpornſtreihs davon rannte. Obwohl wir niht gar weit eine dritte Herde erbli>ten, ſo zogen wir es doch vor, unſere Jagd zu beenden, die uns gegenüber ſo argloſen Tieren nicht gerade ruhmvoll erſchien.“

Das wilde Renn nährt ſi< im Sommer mit den ſaftigen Alpenkräutern, namentlich mit den Blättern und Blüten der Schneeranunkel, des Renntierampfers, des Hahnenfußes, Schwingels 2c., während des Winters von Flechten. Jn Norwegen meidet es auh im Winter den nahrungsreichen Wald, geht aber dann öfters in den Sumpf, um dort allerlei Kräuter zu äſen. Sehr gern frißt es die Knoſpen und jungen Schößlinge der Zwergbirke, nicht aber die anderer Birkenarten. Die Auswahl unter der Nahrung iſt immer eine höchſt ſorgfältige, auf ſehr wenige Pflanzen beſchränkte. Niemals gräbt das Nenn mit dem Geweihe, wie oft behauptet worden iſt, ſondern immer mit ſeinen Vorderläufen. Am eifrigſten geht es in den Morgen- und Abendſtunden der Nahrung nah; während der Mittagszeit ruht es wiederkäuend, am liebſten auf Schneefeldern und Gletſchern oder wenigſtens ganz in deren Nähe. Ob es auch des Nachts ſchläft, iſt niht bekannt.

In Norwegen tritt der Hirſh Ende September auf die Brunft. Sein Geweih, welches Ende Dezember oder im Fanuar abgeworfen worden wax, iſt jezt wieder vollſtändig geworden, und er weiß es zu gebrauchen. Mit lautem Schrei ruft er Mitbewerber heran, orgelt wiederholt in der ausdru>vollſten Weiſe, angeſichts der jeßt ſehr verſtärkten Rudel häufige Kämpfe mit den betreffenden Mitbewerbern beſtehend. Die waeren Streiter verſchlingen ſich oft mit ihren Geweihen und bleiben man<hmal ſtundenlang aneinander gefeſſelt; dabei fommt es dann auch vor, wie bei den Hirſchen, daß die hwächeren Männchen, wel<he von den älteren während der Fortpflanzungszeit übermütig behandelt werden, ſich die Gelegenheit zu Nuße machen und derweil die Tiere beſ<hlagen. Gegen das Alttier benimmt ſich der Hirſh ſehr ungeſtüm, treibt au<h das erkorene Stü oft lange umher; hat ex nach längerem Laufe endlich Halt gemacht, ſo bele>t er die auserkorene Gattin, hebt den Kopf