Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
Nenn: Fortpflanzung. Jagdoweiſen. Feinde. 455
Ganz ähnlich jagen, wie King berichtet, die Fndianer Nordamerikas das Nenn. Auch dieſe Leute leben faſt aus\ſ<ließli<h von ihm. Große Herden von vielen Tauſenden wandern im Frühjahre nordwärts zum CEismeere und im Herbſte wieder ſüdwärts. Sie haben alsdann eine 7—12 cm dide Lage von Feiſt unter der Haut des Nückens und der Schenkel und bilden deshalb jeßt den Hauptgegenſtand der Jagd. Man erlegt das Wild mit der Feuerwaffe, fängt es in Schlingen, tötet es beim Dur<hſhwimmen der Flüſſe mit Spießen, gräbt tiefe Falllöcher oder bildet von Zweigen und Buſchwerk zwei Zäune, läßt in beiden ſchmale Lücken, legt in jede Lüdke eine Schlinge, treibt die Nudel zwiſchen die Zäune und fängt die Stücke, welche dur<hbrechen wollen, oder ſticht ſie beim Herausfommen tot. Die Hundsrippen-FJndianer gehen, wie Trenz el erzählt, paarweiſe auf die Jagd. Der vorderſte trägt in der einen Hand ein Renntiergeweih, der andere, dicht hinter ihm hergehende ein Büſchel Zweige, gegen welche er das Geweih reibt, um die Stirne aber eine Binde von weißem Pelze; bemerken die Renntiere dieſe merkwürdige Erſcheinung, ſo ſtehen ſie ſtill und äugen verwundert. Nun feuern beide Jäger zugleich, eilen der Herde nach, laden im Laufen wieder und ſchießen no< ein oder mehrere Male.
Die Fndianer wiſſen das wilde Renn in ähnlicher Weiſe zu benußen wie die Lappen ihr zahmes Herdentier. Aus den Geweihen und den Knochen verfertigen ſie ſich ihre Fiſchſpeere und Angeln; mit den geſpaltenen Schienbeinknochen ſchaben ſie Fleiſh, Fett und Haar von den Häuten ab; mit Renntiergehirn \{<hmieren ſie das Fell ein, um es geſ<hmeidig zu machen. Das dur< Räuchern mit faulem Holze gegerbte Leder hängen ſie um ihre Zeltſtangen; die ungegerbten Häute geben ihnen Bogenſehnen und Nete; die Sehnen des Nückens werden zu feinem Zwirne geſpalten; die weihen, pelzartigen Felle der Kälber müſſen ihnen die Kleidung liefern. Vom Kopfe bis zu den Zehen hüllen ſie ſi< in Renntierfelle, werfen ein anderes, weihgegerbtes Fell auf den Schnee, de>en ſih mit dem dritten zu und ſind ſo im ſtande, der grimmigſten Kälte Troß zu bieten. Kein Teil des Nenntieres bleibt unbenußt, niht einmal der Speiſebrei im Magen. Wenn dieſer einige Zeit gelegen und eine gewiſſe Gärung erlitten hat, gilt er als höchſt ſ<hmahaftes Gericht. Das Blut wird getoht und zur Suppe bereitet, die Knochen werden geſtoßen und gekocht; das daraus gewonnene Mark miſcht man mit Fett und getro>netem Fleiſche oder benußt es zum Salben des Haares und des Geſichtes.
Das wilde Renn hat außer dem Menſchen noh viele Feinde. Der gefährlichſte von ihnen iſt der Wolf. Er umlagert die Rudel ſtets, am ſ{hlimmſten aber im Winter. Wenn der Schnee ſo feſt geworden iſt, daß er die Renntiere trägt, gelingt es dem böſen Räuber wohl ſelten, eines zu erbeuten; die Umſtände ändern ſih aber bei friſhem Schneefalle. Dann ſinkt das Renn tief ein in die flaumige Deke, ermüdet leiht und wird von dem irgendwo hinter einem Felsblo>e oder dichten Buſche lauernden Räuber viel leichter gefangen als ſonſt. Auf den Gebirgen rotten ſi< Meuten von Wölfen gerade um die Zeit zuſammen, in welcher ſi die Renntiere in ſtarke Nudel ſ<hlagen, und nun beginnt ein nicht endender Kampf um das Leben. Durch Hunderte von Meilen ziehen die Wölfe den wandernden Renntierherden nah, und es kommt dahin, daß ſelbſt die Menſchen, eben der Wölfe wegen, ſolhe Renntier-Zuſammenrottungen verwünſchen. Jn Norwegen mußten die Rennterzuhten, welche man auf den ſüdlichen Gebirgen anlegen wollte, der Wölfe wegen aufgegeben werden. Man hatte ſi< aus Finnmarken oder dem norwegiſchen Lapplande 30 Renntiere nebſt lappländiſchen Hirten kommen laſſen, deren Zucht auf den Hochgebirgen des Vergener Stiſtes vortrefflich gedieh. Schon nach 5 Jahren hatten die 30 Renntiere Hunderte von Nachkommen erzeugt, und die Beſißer dieſer Herden begannen, ſi<h Reichtum zu erträumen: da brachen die Wölfe, welche von allem Anfange an ſich als die ſ{hlimmſten Feinde der neuen Herde gezeigt hatten, mit Macht herein. Es ſchien, als ob ſi die Wölfe ganz