Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Nenn: Zähmbarkeit. Herdenleben, Nußung. Seuchen. A5T

zahmen ſi mit den wilden vermiſchen, zur lebhaften Freude der Herdenbeſißer, welche hierdur eine beſſere Zucht erzielen. Mit dem erſten Schneefalle werden die Renntiere wieder eingefangen und gehütet, denn um dieſe Zeit gilt es, ſie mehr als je vor den Wölfen zu bewahren. Nun kommt der Frühling heran und mit ihm eine neue Zeit der Freiheit; dann werden die Tiere nohmals zur Herde geſammelt: denn jet ſezen die Kühe ihre Kälber und liefern die köſtlihe Milch, welche nicht verloren gehen darf; ſie werden alſo wieder nah den Orten getrieben, wo es wenig Mü>en gibt. So geht es fort, von einem Jahre zum anderen.

Eine Renntierherde gewährt ein höhſt eigentümliches Schauſpiel. Sie gleicht allerdings einem wandelnden Walde, wohlverſtanden, wenn man annimmt, daß der Wald gerade blätterlos iſt. Die Renntiere gehen geſchloſſen wie die Schafe, aber mit behenden, federnden Shritten und ſo raſh, wie keines unſerer Haustiere. Auf der einen Seite wandelt der Hirt mit ſeinen Hunden, welche eifrig bemüht ſind, die Herde zuſammenzuhalten. Ohne Aufhören umkreiſen ſie die Tiere, jedes, welches heraustritt, augenbli>li<h wieder zur Herde treibend: fo bringen ſie es dahin, daß der Trupp immer geſchloſſen bleibt. Durch ſie wird es dem Lappen ſehr leicht, jedes beliebige Renntier mit ſeiner Wurfſchlinge, welche er ge[hi>t zu handhaben verſteht, aus dem Haufen herauszufangen. Unter den zahmen Renntierkühen ſcheint Gemeinſchaftlihkeit der Güter zu herrſhen. So ſtörriſch ſih dieſe Tiere beim Melken bezeigen, ſo liebenswürdig benehmen ſie ſi gegen die Kälber: ſie erlauben auch fremden, ſie zu beſaugen.

Wenn es gute Weide in der Nähe gibt, bauen ſi die Lappen zur Erleichterung des Melkens eine Hürde, in welche ſie allabendlich ihre Tiere treiben. Die Renntiere erinnern dur ihr Hinz und Hexlaufen und durch ihr ewiges Blöken an die Schafe, obgleich ihr Lautgeben mehr ein ſ{<weinähnlihes Grunzen genannt werden muß. Bei weitem die meiſten, welche in Herden gehalten werden, ſind ſehr klein; man ſicht unter Hunderten nur ſehr wenige ſtarke Tiere. Dabei fällt die Unregelmäßigkeit der Geweihe unangenehm auf. Wenn man ſi< der Hürde nähert, vernimmt man zuerſt das beſtändige Blöken und dann, bei der ununterbrochenen Bewegung, ein Kniſtern als ob Hunderte von elektriſchen Batterien in Thâtigkeit geſest würden. Jn der Mitte der Hürde liegen mehrere große Baumſtämme, an welche die Renntiere beim Melken angefeſſelt werden. Dhne Wurfſchlinge läßt ſi kein Renntier ſeiner Milch berauben; deshalb trägt jeder Lappe und jede Lappin eine ſolche beſtändig bei ſich. Sie beſteht entweder aus einem langen Riemen oder einem Stri>e wird leiht in Ringe zuſammengelegt, an beiden Enden feſtgehalten und ſo geworfen, daß ſie um den Hals oder das Geweih des Tieres zu fallen kommt; dann faßt man ſie kürzer und kürzer, bis man leßteres ganz nahe an ſih herangezogen hat, bildet eine Schifferſchlinge und legt ſie ihm um das Maul, hierdur< es feſt und ſicher zäumend und zu unbedingtem Gehorſam nötigend. Hierauf bindet man es an dem Kloßte feſt und beginnt das Melkgeſchäft. Während desſelben mat das Nenntier allerlei Anſtrengungen, um durhzugehen; allein die Lappen verſtehen dem zu begegnen und ziehen beſonders widerſpenſtigen Tieren die Schlinge j0 feſt über der Naſe zuſammen, daß ſie wohl ruhig bleiben müſſen. Dann naht ſich der Melkende dem Renn von hinten, ſ<hlägt mehrere Male fla<h auf das Euter und entleert es. Die Milch ſ{<me>t angenehm ſüßli< und iſt ſo fett wie Nahm. Sofort nah dem Melken öffnet man die Hürden und zieht wieder auf die Weide hinaus, gleichviel, ob man am frühen Morgen oder am ſpäten Abende die Tiere verſammelt; denn man weidet Tag und Nacht.

Mangerlei Seuchen richten oft arge Verheerungen unter den Renntieren an, und außerdem trägt das rauhe Klima dazu bei, daß ſi die Herden nicht ſo vermehren, wie es, der Fruchtbarkeit des Renns angemeſſen, ſein könnte. Junge und zarte Kälber erliegen der Kälte oder leiden von den heftigen Schneeſtürmen, ſo daß ſie, vollkommen ermattet, der Herde niht weiter folgen können; ältere Tiere können bei beſonders tiefem Schnee niht mehr