Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

458 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche,

hinreichende Nahrung finden, und wenn der Lappe unter ſolchen Umſtänden ſi<h au< bemüht, ihnen in den Wäldern einige Äſung zu verſchaffen, indem er die mit Flechten reih behangenen Bäume niederſchlägt: er kann der Herde doh nicht das erforderliche Futter bieten. Sehr ſ{<limm iſt es, wenn zwiſchen den Schneefällen einmal Negen eintritt und der Schnee dadur eine harte Kruſte erhält. Eine ſolche verwehrt dem Renne, dur<h Wegſchlagen der Schneede>e zu ſeiner Äſung zu gelangen. Dann entſteht oft bittere Not unter den Lappen, und Leute, welhe na< dortigen Volksbegriſſen als rei gelten, werden unter ſolhen Umſtänden manchmal in einem einzigen Winter arm. Sie legen ſi< ſodann auf Renntierdiebſtahl und kommen dadurch in Fehde mit anderen Renntierbeſißern, von denen ſie, bei der That ertappt, ohne Umſtände totgeſchlagen werden.

Dex geſamte Nugen, welchen die zahmen Renntiere ihrem Beſißer bringen, würde, auf unſere Verhältniſſe übertragen, gar niht zu bere<hnen fein. Alles was das Tier erzeugt, wird verwendet, nicht bloß die Milch und daraus bereiteter wohlſ<me>ender Käſe, das Fleiſch und Blut, ſondern auch jeder einzelne Teil des Leibes. Die noc knorpeligen Hörner werden ebenſo gern gegeſſen wie die des Elentieres in gleihem Zuſtande; aus den weichen Fellen der Renntierkälber verfertigt man ſich die Kleider; das Wollhaar wird geſponnen und verwebt; aus den Knochen macht man ſich allerlei Werlzeuge; die Sehnen benußt man zu Zwirn. Außerdem muß das Tier auh no<h, namentli<h während des Winters, die ganze Familie und ihr Hab und Gut von einem Orte zum anderen ſchaffen. Fn Lappland benußt man das Renn hauptſächli<h zum Fahren, weniger zum Laſttragen, weil ihm leßteres, des ſ<wa<hen Kreuzes wegen, ſehr beſ<hwerli< fällt. Die Tunguſen und Koräken aber reiten auh auf den ſtärkſten Rennhirſchen, indem ſie einen kleinen Sattel gerade über die Schulterblätter legen und ſih mit abſtehenden Beinen auf das ſonderbare Reittier ſeßen. Fn Lappland reitet niemand auf Renntieren, und bloß die ſtärkſten Böcke oder „Rennochſen“, wie die Norweger ſagen, werden zum Fahren benußt. Man bezahlt tüchtige Zugtiere gern mit 30 bis 50 Mark unſeres Geldes, während die gewöhnlichen Renntiere höchſtens 12—18 Mark foſten. Kein Nenn wird vorher zum Zuge abgerichtet; man nimmt ohne viel Umſtände ein beliebiges; ſtarkes Tier aus der Herde und ſpannt es vor den höchſt paſſenden, der Natur des Landes und des Renntieres durchaus entſprechenden Schlitten. Dieſer iſt von dem bei uns gebräuchlichen ſreilih ganz verſchieden und ähnelt vielmehr einem Boote. Ex beſteht aus ſehr dünnen Bixkenbrettern, welche von einem breiten Kiele an bootartig gekrümmt aneinander genagelt werden und ſo eine Mulde bilden, deren Vorderteil bede>t iſt. Selbſtverſtändlih kann bloß ein einziger Mann in einem ſolchen Bootſchlitten ſißen, und notwendigerweiſe muß er die Beine gerade vor ſih hin ausſtre>en: da nun aber der Schlitten mit Renntierfellen ausgefüttert iſt, ruht man ſehr bequem und warm in dieſer ſonderbaren Stellung. Für das Gepäck odex für zu befördernde Ware hat man Schlitten, welche oben mit Schiebede>eln verſchloſſen werden können, den anderen aber ſonſt ganz ähnli<h ſind. Gewöhnlich fährt ein Lappe mit dem Leitrenn dem Reiſenden voraus, um den Weg zu prüfen; denn ſelbſtverſtändlich geht es in gerader Richtung über die weiße Dede hinweg, ohne genau zu wiſſen, welchen Grund ſie verhüllt. Auf Flüſſen und Seen werden Birkenreiſer längs beider Seiten der Bahn geſte>t, um alle aufzufordern, denſelben Weg zu benußen und ihn glatt und feſt zu fahren. 3—4 Shlitten hinterdrein enthalten Gepä> und Lebensmittel für den Reiſenden, unter Umſtänden auh Nenntierflechten für die Tiere, und ſo beſteht der volle Reiſezug gewöhnli<h aus mindeſtens 6 Schlitten.

Das ſehr einfache Geſchirr beſteht eigentli nur aus einem breiten Stü>ke Fell, welches zuſammengenäht iſt, damit es allſeitig weih wird. Dieſes rundliche Band endigt in zwei dide Knöpfe, welche beim Anſchirren dur< eine Schlinge, das Ende des Zugſeiles, geſte>t werden. Leßteres läuft zwiſchen den Vorderbeinen durch und ſollte auh längs des Bauches