Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

8 Siebente Ordnung: Suchvögel; erſte Familie: Regenpfeifer.

kurzem, geradem, meiſt niedrig über den Boden dahinführendem Fluge wiederum ein. Die bekannten Zickzaklinien der fliegenden Bekaſſine beſchreibt ſie nie, und wenn ſie wirklich einmal in höhere Luftſchichten auſſteigt, führt ſie höchſtens 2 oder 3 weite Kreiſe aus und fällt dann wieder auf den Boden herab. Beim Auſſtehen vernimmt man ein eigentümliches Geräuſch, das Naumann treffend als „wuchtelndes Getöſe“ bezeichnet, nur äußerſt ſelten aber einen ſ<hwachen, wie „bäd bäd bäd“ klingenden Stimmlaut und niemals ein dem befannten Me>kern der Bekaſſine entſprechendes Getön. Scheu iſt ſie niht, im Gegenteile meiſt ſo vertrauensvoll, daß ſie erſt dur wiederholte Verfolgung ſich zu einiger Vorſicht bequemt. Vor dem Hunde ſteht ſie bis zum Auffliegen mit eingezogenem Halſe und gerade vorgeſtre>tem Schnabel unbeweglih wie eine Bildſäule, niht aber in gedu>ter Haltung wie ihre Verwandten.

Nachttier wie alle Schnepfen überhaupt, verläßt ſie am Tage den erwählten Ruheplaß nur, wenn ſie dazu genötigt wird. Mit Eintritt der Dämmerung wird ſie rege, läuft, nah Art eines Strandläufers, mit ausgeſtre>tem Halſe umher, fliegt dann und wann eine kurze Stre>e weit dicht über dem Boden dahin und bohrt auf allen geeigneten Stellen, um zu ihrer Nahrung zu gelangen, die aus allerlei Kerbtier-, in der Tundra hauptſähli<h aus Mückenlarven, Schne>ken und Würmern beſteht, regelmäßig mit kleinen Kieskörnern, zufällig au< mit halb vermoderten Pflanzenteilen vermiſcht und raſh verdaut Wird.

Wie der treffliche Beobachter Collett lehrt und ih von ſibiriſchen Jägern erfuhr, ſteigt die Mittelſchnepfe während ihrer Liebeszeit niemals zu höheren Luftſchichten auf, um hier ihren Gefühlen Ausdru> zu geben, ſondern balzt auf dem Boden. Da, wo ſie häufig iſt, verſammeln ſi mit Eintritt der abendlihen Dämmerung 8—10, manchmal mehr, öfters weniger Männchen auf beſtimmten Pläßen, die dur< das gänzlih niedergetretene Gras fenntlih ſind, um zeitweilig bis zum frühen Morgen zu ſpielen und eigentümlich leiſe Laute zum beſten zu geben. Mit aufgeblähtem Gefieder, geſenkten Fittichen und etwas gehobenem und gebreitetem Schwanze laufen ſie, ſich brüſtend, vor den Weibchen einher, rufen mit gleihfam flüſternden Lauten „bi bip bipbib bibiperere biperere““/ dann und wann auch lauter, ungefähr nah Art eines Rotſchenkels, und laſſen dazwiſchen ein ſonderbares Schnappen hören, das wahrſcheinlih durch heftiges Zuſammenklappen des Schnabels entſteht. Bis dahin ſtre>en ſie Kopf und Schnabel nach oben, breiten und ſchließen den Schwanz wie einen Fächer und bekunden durch ihr ganzes Auftreten, daß ſie ſi< in einem Zuſtande der Verzü>ung befinden. Stößt ein Männchen auf das andere, ſo beginnt zwiſchen. beiden ein Kampf, der mehr mit den Flügeln als mit dem Schnabel ausgefochten wird, aber niemals lange währt. Jn klaren, hellen Nächten balzen ſie am eifrigſten, in regneriſchen minder anhaltend; in den Stunden um Mitternacht gehen ſie dem Futter na. Während der Höhezeit der Balze ſind ſie noh weniger ſcheu als ſonſt, geſtatten Annäherung des Beobachters, ohne ihr Spiel zu“ unterbrechen, und kehren, vertrieben, binnen kurzer Zeit zum Balzplaße zurüc>. Erſt wenn alle Weibchen brütend auf den Eiern ſißen enden dieſe Liebes]piele.

Wie in der Tundra ſchreitet das Weibchen auch bei uns zu Lande erſt ſpät im Fahre, früheſtens Ende Mai oder Anfang Juni, zum Baue des Neſtes. Legteres unterſcheidet \i< niht von dem der Heerſchnepfe, und auch die 4 Eier ähneln denen der leßterwähnten Art bis zum Verwechſeln, ſind jedo<h ein wenig größer, durſhnittlih 44 mm lang und 32 mn di>. Das Weibchen brütet etwa 18 Tage mit voller Hingebung, ißt ungemein feſt, verſucht ſich dur Niederdu>en zu verbergen, bede>t auc wohl, wie ſolches du Cane Godman beobachtete, ſeinen Rü>en mit ausgerupftem Mooſe und fliegt erſt davon, wenn der Störenfried bis in ſeine unmittelbare Nähe gelangte. Das Fugendleben der Küchlein verläuft in ähnlicher Weiſe wie bei der Heerſchnepfe; die Jungen ſcheinen jedo< noch früher als die der leßteren ſelbſtändig zu werden und ihre Eltern zu verlaſſen.