Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Kiebißz: Weſen. Gebaren. Nahrung. Fortpflanzung. 59

bethätigt zugleih aber hohen Mut, ja förmliche Tollkühnheit. Wütend ſtößt er auf den ſ{hnüffelnden Hund herab, oft ſo diht am Kopfe vorüber, daß der geärgerte Vierfüßer fich veranlaßt ſieht, nah ihm zu ſhnappen. Reineke wird ebenſo eifrig angegriffen, aber nicht immer beſiegt und vertrieben, ergreift vielmehr nicht ſelten einen der kühnſten Angreifer und mordet ihn dann vor den Augen der Genoſſen, die voll Entſetzen in alle Winde zerſtieben und fern vom Walplaße den verunglü>ten Gefährten beklagen. Kühn greift der Kiebiß Raubvögel, Möwen, Reiher und Störche an, von welchen er weiß, daß ſie niht im ſtande ſind, im Fluge es ihm gleich zu thun, aber vorſichtig weicht ex denjenigen gefiederten Räubern aus, welche ihn im Fluge überbieten. Es iſt ein höchſt anziehendes Schauſpiel, Kiebiße zu beobachten, die einen Buſſard, einen Weihen, einen nach den Eiern lüſternen Naben oder einen Adler anfallen: man glaubt ihnen die Siegesgewißheit und dem Räuber den Ärger anzumerken. Ciner unterſtüzt dabei den anderen, und der Mut ſteigert ſich, je mehr Angreifer dur den Lärm herbeigezogen werden. Der fliegende Näuber wird dadur ſo beläſtigt, daß er es vorzieht, von aller Jagd abzuſtehen, um nur die Kläffer los zu werden. Das Strandgeflügel pflegt auf den Kibiß zu achten und entzieht ſich, dank ſeiner Vorſicht, vielen Gefahren. Deshalb nennen die Griechen ihn bezeihnend „Gute Mutter“.

Regenwürmer ſcheinen ſeine Hauptnahrung zu bilden; nächſtdem werden Kerbtierlarven aller Art, Waſſer- und kleine Landſchne>en 2c. aufgenommen. Zur Tränke geht er mehrmals im Laufe des Tages; Bäder ſind ihm Bedürfnis.

Das Neſt findet man am häufigſten auf weiten Raſenflächen, feuchten ern, ſelten in unmittelbarer Nähe des Waſſers und niemals im eigentlihen Sumpfe. Es beſteht aus einer ſeichten Vertiefung, die zuweilen durch einige dünne Grashälmhen und zarte Wurzeln zierli ausgefleidet wird. Die Zeit des Legens fällt in günſtigen Jahren in die lebten Tage des März, gewöhnlich aber in die erſten Tage des April. Die 4 verhältnismäßig großen, dur<ſcnittli< 46 mm langen, 32 mm di>en Cier ſind birnförmig, am ſtumpfen Ende ſtark, am entgegengeſeßten ſpiß zugerundet, feinkörnig, glattſhalig und auf matt olivengrünlichem oder bräunlihem Grunde mit dunklern, oft ſhwarzen Punkten, Klexen und Strichelchen ſehr verſchiedenartig gezeihnet, liegen im Neſte ſtets ſo, daß ihre Spißen ſih im Mittelpunkte berühren und werden vom Weibchen immer wieder o geordnet. Leßteres brütet allein, zeitigt die Eier innerhalb 16 Tagen und führt die Jungen dann ſolchen Stellen zu, auf welchen ſie ſi verſte>en können. Das Kleid des ſih bei naher Gefahr plößlih auf die Erde du>enden Jungen täuſcht eine kleine Bodenerhöhung vor. „Als Knabe“, erzählt Haat>e, „lief ih einſt einem jungen Kiebiße nah, um ihn zu fangen. Gerade wollte ih zugreifen, als er plöglih wie dur< Zauber verſhwunden war. Jh ſtand verblüfft da, bis ih ihn endlich, feſt auf den Boden gedrü>t, unmittelbar vor meinen Füßen erblite und nun aufnehmen konnte.“ Beide Eltern gebaren ſi, ſolange ſie Eier und Junge haben, fühner als je, gebrauchen auh allerlei Liſt, um den Feind zu täuſchen. Weidenden Schafen, die ſich dem Neſte nähern, ſpringt das Weibchen mit geſträubtem Gefieder und ausgebreiteten Flügeln entgegen, ſchreit, gebärdet ſi< wütend und erſhre>t die dummen Wiederkäuer gewöhnlich ſo, daß ſie das Weite ſuchen. Auf Menſchen ſtoßen beide mit wahrem Heldenmute herab; aber das Männchen verſucht auc, indem es ſeinen Paarungsruf hören läßt und in der Luft umhergaukelt, durch dieſe Künſte den Gegner irre zu führen. Die \ſ{limmſten Feinde ſind die nähtlih raubenden Vierfüßer, vor allem der Fuchs, der ſi ſo leiht niht bethören läßt; Weihen, Krähen und andere Eierdiebe hingegen werden oft vertrieben. Sind die Jungen flugbar geworden, ſo gilt es nur no<, Habicht und Edelfalken auszuweichen. Jhnen gegenüber benimmt ſi< der kluge, gewandte Vogel ſehr ungeſhi>t, ſchreit jämmerlich, ſucht ſich in das nächſte Gewäſſer zu ſtürzen und dur< Untertauchen ſein Leben zu retten, iſt aber im ſei<ten Waſſer meiſt verloren.