Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Mornell. Steppenvegenpfeifer. 69

Jh zähle den Mornell zu den anziehendſten Mitgliedern ſeiner Familie; es mag aber ſein, daß diejenigen, welche ih beobachten konnte, mich beſonders feſſelten, weil ſie gerade brüteten. Man hat dieſen Vogel als dumm und albern verſchrieen: ih kann dieſer Anſicht nicht beipflichten. Allerdings zeigt er auf ſeinem Brutplaße geringe Scheu vor dem Menſchen, gewiß aber nux, weil er dieſen in ſeiner ſicheren Höhe ſo ſelten zu ſehen befommt. Erfährt er wirklich Verfolgung, ſo wird er bald ſehr vorſichtig. Seine Haltung iſt ungemein zierlih, der Gang anmutig und behende, dabei leiht und raſh, der Flug äußerſt gewandt, wenn Eile not thut, pfeilfhnell, dur< wundervolle Shwenkungen ausgezeichnet; ſeine Stimme iſt ein ſanfter, flötenartiger, höchſt angenehmer Ton, der durch die Silben „dürr“ oder „dürü“ ungefähr ausgedrüt werden mag, ſein Weſen liebenswürdig, friedlih und geſellig. Auf den Schneefeldern und zwiſchen den überall abwärts fließenden Gewäſſern treibt er ſtill ſein Weſen, mit jedem anderen Vogel, welcher da oben vorkommt, in Frieden lebend, auh dem Menſchen, der bis zu ihm emporſteigt , ſo vertrauend, daß er vox ihm dahinläuft wie ein zahmes Huhn, daß man meint, ihn mit Händen greifen oder mit dem Stoke erſchlagen zu können. Nur derjenige aber, welcher das Pärchen umringt ſieht von ſeinen 3 oder 4 Jungen, kann die ganze Lieblichkeit und Anmut dieſes Vogels würdigen.

Auf jenen Höhen findet man im Mai und Funi das einfache Neſt, eine fla<h ausgeſhharrte, mit einigem troŒenen Gewurzel und Erdflehten ausgekfleidete Grube, in welcher 4, oft aber nur 3 Eier von birnförmiger Geſtalt, 40 mm Längs- und 28 mm Querdurchmeſſer, feiner und glatter, glanzloſer Schale, hell gelbbräunlicher oder grünlicher Färbung und dunkler, unregelmäßiger Fle>enzeihnung liegen. Die Mutter ſit auf dem Neſte ſo feſt, daß ſie ſi faſt ertreten läßt, weiß aber auch, wie ſehr ſie auf ihr Bodengewand vertrauen darf. Wenn erſt die Jungen ausgeſchlüpft ſind, gewährt die Familie ein reizendes Bild. Fh habe es nux einmal über mich vermocht, ein Pärchen nebſt ſeinen Jungen zu töten, anderen aber fein Leid anthun können, denn das Gefühl überwog den Sanmmeleifer. Angeſichts des Menſchen verſtellt ſi< die Mutter, die Junge führt, meiſterhaft, während der Vater ſeine Beſorgnis dur lautes Schreien und ängſtliches Umherfliegen zu erkennen gibt. Die Mutter läuft, hinkt, flattert, taumelt dicht vor dem Störenfriede einher, ſo nahe, daß die mi begleitenden Lappen ſih wirklih täuſchen ließen, ſie eifrig verfolgten und die fleinen, niedlihen Küchlein, die ſih gedu>t halten, vollſtändig überſahen. Unmittelbar vor mir lagen ſie alle drei, den Hals lang auf den Boden geſtre>t: jedes einzelne teilweiſe hinter einem Steinchen verborgen, die kleinen, hellen Äuglein geöffnet, ohne Bewegung, ohne dur ein Zeichen das Leben zu verraten. Jh ſtand dicht vor ihnen, ſie rührten ſih niht. Die Alte führte meine Lappen weiter und weiter, täuſchte ſie um ſo mehr, je länger die Verfolgung währte; plöglich aber ſhwang ſie ſih auf und kehrte pfeilſchnell zu dem Orte zurüd, wo die Jungen verborgen waren, ſah mich dort ſtehen, rief, gewahrte keins von den Kindern und begann das alte Spiel von neuem. J<h ſammelte die Küchlein, die ſich willig ergreifen ließen, nahm ſie in meine Hände und zeigte ſie der Mutter. Da. ließ dieſe augenbli>li< ab von ihrer Verſtellung, kam dicht an mich heran, ſo nahe, daß ih ſie wirklich hätte greifen fönnen, blähte das Gefieder, zitterte mit den Flügeln und erſchöpfte ſich in allen ihr zu Gebote ſtehenden Gebärden, um mein Herz zu rühren. Von meinen Händen aus liefen die fleinen Dingerchen auf den Boden hinab: ein unbeſchreibliher Ruf von der Mutter, und ſie waren bei ihr. Nun ſette ſich die Alte, gleihſam im Übermaße des Glückes, ihre Kinder wieder zu haben, vor mir nieder, huderte die Kleinen, die ihr behende unter die Federn geſchlüpft waren, wie eine Henne, und verweilte mehrere Minuten auf derſelben Stelle, vielleiht weil ſie meinte, jet ein neues Mittel zum Schußte der geliebten Kinderchen gefunden zu haben. Jh wußte, daß ih meinem Vater und anderen Vogelkundigen die