Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

Lanzettfiſh: Allgemeines, Verbreitung. Gebaren. Lebenszähigkeit. 493

Über die Lebensweiſe dieſer unter allen am tiefſten ſtehenden Wirbeltiere weiß man no ſehr wenig. Jhr nördliches Verbreitungsgebiet umfaßt die europäiſchen und amerikaniſchen Geſtade des nördlichen Atlantiſchen Meeres und das Mittelländiſche Meer, das ſüdliche die Küſten der weſtindiſhen Fnſeln, Südamerikas, der Baßſtraße, Borneos und Auſtraliens. Jhr Aufenthalt iſt der feine Sand, worin ſie ſi< eingraben und, dank au< ihrer Gleihfarbigkeit mit jenem, ſo vollſtändig verbergen, daß man ſie nur dann wahrnimmt, wenn man den Sand durch feinmaſchige Siebe ſpült. Wahrſcheinlich ſind ſie überall, wo fie vorkommen, bei weitem häufiger, als man gewöhnlih annimmt; an geeigneten Stellen hält es mindeſtens niht \{<wer, binnen wenigen Stunden viele davon zu erbeuten. Genötigt, den Sand zu verlaſſen, ſhwimmen ſie huſchend unter kurzſchlängelnden Bewegungen pfeilſhnell dur<hs Waſſer und betten ſi cinen Augenbli> ſpäter wiederum im Sande ein. Couch ſagt ſehr rihtig, daß man beim Schwimmen Kopf und Schwanz kaum oder

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Lanzettfiſ< (Branchiostoma lanceolatum). Natürliche Größe.

niht unterſcheiden könne, Wilde, daß gefangene Lanzettfiſche in einem Glaſe ſich aalartig mit raſchen Windungen förderten und ungeachtet des ſo wenig entwi>elten Geſichtsſinnes — falls von einem ſolchen überhaupt zu reden iſt — den ihnen vorgehaltenen Finger oder andere Hinderniſſe zu vermeiden wußten, beim Herankommen ſtußten und Kehrt machten. „Die kleinen Tierchen“, bemerkt leßtgenannter Beobachter noh, „haben eine beſondere Fähigkeit, ſich, und zwar in eigentümlicher Weiſe, aneinander zu kleben. Zuweilen bilden ſie dann einen Klumpen, zuweilen wiederum einen Faden von 15— 20 cm Länge. Die Geſamtheit bewegt ſih gemeinſchaftlich, im lezterwähnten Falle in Schlangenwindungen. Jmmer kleben ſie ſich mit den Breitſeiten aneinander, wenn ſie in einer Neihe ſ{wimmen, ſo daß das Kopfende des einen ſi<h ungefähr im leßten Drittel der Leibeslänge des Vorgängers befindet.“

Eine andere merkwürdige Eigenſchaft des Tieres lernte Haed>el kennen. Stark verſtümmelte Lanzettfiſhchen von Helgoland, ja ſelbſt kleinere Bruchſtücke von ſolchen, blieben tagelang am Leben. Sie bewieſen dadurch, daß das Lanzettfiſchchen die große gegenſeitige Unabhängigkeit der einzelnen Leibesteile mit den tiefſtehenden Vertretern anderer Tierflaſſen gemein hat.

Mit allen verkümmerte Augen beſißenden Tieren teilt das Langzettfiſchchen große Lichtſcheu. Helle Beleuchtung beunruhigt es in hohem Grade.

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