Die Französische Revolution

Die Unterbrechung der dynaſtiſchen Tradition und ihre Folgen. 159

gewährte. Wenn ſih der Bourbone nicht mehr auf Öſterreich, Preußen, Rußland oder Spanien, ſondern nur auf England, den Staat des Liberalismus, verlaſſen konnte, ſo war es nicht ausgeſchloſſen, daß ſich in ſeinem Heimatlande die Abneigung gegen den früheren Schüßling der Habsburger verlor und daß die Zahl ſeiner Anhänger wuhs vorausgeſeßt, daß die Herrſchaft Napoleons an Liebe einbüßte. Dhnehin war der royaliſtiſche Gedanke vermöge der Arbeit der Pfarrer !) nie ganz eingeſchlafen. „Ließe ſih dem Volke ein größerer Gegenſatz zeigen als der zwiſchen dem legitimen Herrſcher, welcher ſi<h nur mit dem Intereſſe der Religion beſchäftigen würde, während der heuchleriſche Uſurpator fie ſeinen ehrgeizigen Abſichten dienſtbar machen will.“ So ſchrieb ſhon 1803 der genugſam bekannte Vaudreuil ?), und ſeine Erwartungen blieben \{ließli< niht unerfüllt. Nachdem Napoleon durch ſeine Kirchenpolitik die Biſchöfe von der Kontrolle ihrer Kapitel befreit hatte, um ſie beſſer für ſeine Zwecke gebrauchen zu können, wurden wider Erwarten jene die Träger des legitimiſtiſhen Gedankens *). Dabei wirkte die vorangegangene Demokratiſierung des Staates nicht unweſentlich zur Erhöhung der kirchlichen Macht mit. — Dazu fam, daß die ſtändigen Kriege Bürger und Bauer kaum mehr eine ruhige Stunde des Genuſſes gönnten. „Jede Großmacht, die außerhalb ihrer Intereſſenſphäre auf die Politik der anderen Länder zu drücken und einzuwirken und die Dinge zu leiten ſucht, die periklitiert außerhalb des Gebietes, welches Gott ihr angewieſen hat, die treibt Machtpolitik und nicht Jntereſſenpolitik, die wirtſchaſtet aufs Preſtige hin“ ©), und daher rief in vielen Ländern die Trommel zum Kampfe für die Befreiung vom franzöſiſchen Joche, und — Frankreich verblutete infolge des Anſpruches, das erſte Volk der Welt zu ſein.

1814 mußte Napoleon ſein Land verlaſſen, und Ludwig XVII. beſtieg den Thron ſeiner Väter. Obgleich klerikale Freunde ihn ſtark umſchwärmten, erinnerten ſeine Deklarationen von St. Duen (2. Mai 1814) gar wenig an die vom 23. Juni 1789, welche für ihn doch bisher das Jdeal eines Verfaſſungsprojektes darſtellte. Zwar nennt

1) Schon am 22. Juni 1789 hatte in dem erwähnten Briefe an den König der Miniſter Montmorin auf ihre Bedeutung hingewieſen: „Ce sont eux qui influent le plus directement sur le peuple et le remuent à leur gré.“

2) Das genauere Datum geht aus dem Scriftſtü>k niht hervor.

3) Bailleus Aufſaß in Sybels H. Z. Bd. LXXIII, S. 529.

4) Bismar> in ſeiner Rede vom 6. Februar 1888.