Die Französische Revolution

Der Könige Kampf für Frankreihs Vorherrſchaft in Europa. 11

und einen gewiſſen Anteil an den Staatsgeſchäften herbeiſehnte. Wird dieſes Streben nicht befriedigt, ſo kann leiht Gemeingeiſt und Geiſt der Monarchie getötet werden: ſo ungefähr ſagte vor hundert Jahren der Freiherr von Stein. Die Gefahr war alſo tatſächlich groß, wie ſchon jener Venezianer erkannte, und etwa ſeit der Mitte des Jahrhunderts ſehen wir die Franzoſen allgemein ſi<h mit Verfaſſungsfragen beſchäftigen, nachdem die meiſten derſelben ſich bis dahin mit \chöngeiſtigen, literariſchen Stoffen abgegeben hatten !). Freiheit wurde die Loſung nicht nur in der Kunſt, wo damals Fragonard ſeine von den Banden der Sittlichkeit losgelöſten Gemälde huf, niht nur in der theologiſchen Wiſſenſchaft, wo Voltaire und andere die Verkehrtheit des Dogmas zu erweiſen ſuchten, nicht nur in der Volkswirtſchaftslehre, wo in jenen Tagen Quesnay und ſeine Schule die Schädlichkeit der beengenden Schußzölle und den hohen Nuten der Handelsfreiheit darlegten, ſondern auch im politiſchen Leben, in dem dann eben die freiheitliche, liberale Regung gewiſſermaßen zu jenen Theorien parallel lief. Die Notlage der Zeit hat auch hier die politiſche Theorie geboren. Da war es ein ehemaliger Miniſter, d'Argenſon ?), der da 1739 verlangt hatte, daß die Monarchie, um neue Kräfte zu gewinnen, ein Bündnis eingehen müſſe mit demokratiſchen Jnſtitutionen: er meinte damit, daß Provinzialverſammlungen in dem ganzen Königreich einzuberufen ſeien und daß dieſe dann ihre Auſgabe darin erblicken ſollten, der Mehrzahl von Sonderrechten, welche die höheren Stände nux noh übermütiger machten, aber auh den Schranken zwiſchen den Provinzen, die den freien Verkehr zwiſchen denſelben hemmten, ein Ende zu bereiten. „Welche Jdee iſt herrlicher als eine Republik, von einem König beſhüßt? Eine Republik für ſich iſt ohne Kopf, ein unumſchränktes Königtum wird bald ohne Arme ſein; denn das einſeitige Überwiegen des Kopfes entnervt ?).“ Wenn auch d’Argenſon hier die Wurzel der Leiden, von denen ſein Vaterland befallen iſt, im ganzen klar erkennt, die Regierung vermochte nicht ſeine Anſichten zu den ihrigen zu machen, und ſie ahnte auh gar nicht, wieviel ſie eigentlih bei dieſer Neuordnung gewann, wieviel neue Kraft dur<h das Mehr an auf-

1) Wahl, Vorgeſchichte der Franzöſiſchen Revolution (Tübingen 1905—1907), Bd. IT, S. 150. Tocqueville, L'ancien régime (Paris 1859), S. 275. 278. 279.

2) v. Nanke, Franz. Geſch., Bd. IV, S. 529 ff. Wahl beurteilt, wie mir ſcheint, d’Argenſon zu ſtreng.

3) Hettner a. a. O. S. 90.