Die Französische Revolution
2 Erſtes Kapitel.
überlegen, weil ſie allein mit dem heiligen Öle geſalbt worden waren und weil ihnen die Gabe beigelegt wurde, Wunder zu wirken "). „Er iſt König, Papſt und Kaiſer“ — urteilt ein glaubwürdiger, ſpaniſcher Gewährsmann ?) über Philipp TV. Ganz richtig iſt daher die Behauptung Lindners ?), daß ſchon im 14. Jahrhundert dieſer Staat eine ähnliche Stellung wie ſpäter unter Ludwig XIV. erlangt hätte, wenn der Krieg mit England nicht geweſen wäre. Auch von anderer Seite drohten der Krone troß jenes myſtiſhen Glanzes Gefahren. Da waren in Frankreich ſelber die übermütigen Großen, denen nah mittelalterliher Theorie *) ausgedehnte Beteiligung an der Regierung zuſtand. Da waren ferner die Städter, die allerdings in erſter Linie ihren Groll gegen dieſe richteten; aber es iſt doch vorgekommen, beſonders als die Zentralgewalt mit dem Adel auf ihre Koſten ein Bündnis, ein unnatürlihes Bündnis einging, daß ſich da unter ihnen revolutionäre Gedanken regten, und ſchon im 14. Jahrhundert war „Aufhebung der beſtehenden Ordnung“ oder „Erklärung der Menſchenrechte“ die Loſung, und der demokratiſche Verfaſſer des Roſenromans iſ als der Rouſſeau des Mittelalters bezeichnet worden ®). Ludwig XI. hat gegenüber der erſten Strömung ſeine Herrſchaft ſiegreich behauptet, indem er gerade mit den Städtern ein Bündnis ſ{loß, und die Ausſicht auf dauernden Frieden im Reiche war der Lohn ſeiner Regierungskunſt: als ein Virtuoſe der Herrſchaft, um mit Jakob Burckhardt zu reden. Er befolgte dabei immer den Grundſaß, nur das Jntereſſe des Staates wahrzunehmen, und das iſt es gerade, was Machiavelli von jedem Herrſcher verlangt ©), derſelbe, dem ſelbſt die Sittengeſeze gegenüber den Erfordniſſen des öffentlichen Wohles
1) Histoire de France, publ. p. Lavisse (Paris 1902), vol. IV 2, 399.
2) Finke in Mitteilungen des Inſtituts für öſterreichiſche Geſchichtsforſhung, Bd. XXVI, S. 209.
3) Deutſche Geſchichte unter den Habsburgern (Stuttgart 1893), Bd. TI, S. 425. Damals war die Reſidenz der Päpſte in Avignon. Vgl. auh Scheffer= Boichorſt, Aus Dantes Verbannung (Straßburg 1882), S. 78. 84.
4) Koſer in Sybels Hiſtoriſcher Zeitſchrift, Bd. LXI, S. 188.
5) Suchier-Bir<h-Hirſchfeld, Geſch. d. franzöſiſchen Literatur (Leipzig 1900), S. 212—2183.
6) Gierke, Althuſius (Breslau 1880), S. 279. 290. „Das Heil des Staates war doc ſein erſter und leßter Gedanke.“ (Bur>thardt, Die Kultur der Renaiſſance in Italien [Baſel 1860], S. 87.)