Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit
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Ich kann nicht vergessen, daß unter 70 Millionen Deutschen wohl 10 Millionen in Werkhallen und an Maschinen das ganze graue Jahr entlang kein Himmelsblau sehen und keinen Wald _ rauschen hören; daß in diesem Augenblick, wo ich dies schreibe, an der Wolga an 15 Millionen Menschen verhungern, daß in den deutschen Bauernschaften Alexandrowsk, Chortiz und den _ russischen Schwarzemeerhäfen, welche Jahrzehnte lang Rußland und Europa mit Getreide und Brotfrucht versorgt haben, etwa die Hälfte der Bevölkerung in diesen Tagen verhungert. In Moskau kostet gegenwärtig (März 1922) ein Pfund Butter (400 gr) 110.000 Rubel, ein Pfund Zucker 70.000 Rubel, ein Pud (16 kg) Schlichtmehl über 2 Millionen Rubel, Saccharin in Kri- _ stallen das Gramm 80.000 Rubel, eine Nähnadel 1000 Rubel und ein Endchen Zündstein von 5 mm Länge 6000 Rubel. Das bedeutet, daß nur um alle Sachwerte auszurauben der Schein von Geldwert aufrecht erhalten wird.
Ich weiß diese Not, und weiß, welche Qualenhölle jedes einzelne Bewußtsein umschließt. Und dennoch wird dem vorliegenden Werke nur der Leser gerecht werden, der betrachtend abzusehn vermag von alle den durchaus notwendigen Forderungen und Rufen nach Leidensminderung und nach Gerechtigkeit. Im Kern dieses Buches steht die metaphysische Erkenntnis: daß die Bewußtseinswirklichkeit des Menschen, diese durchaus mechanische Welt in Raum und Zeit, welche aus der Not herausgeboren ist, vergleichbar sei jener Lanze des Achilleus, deren Schaft die Wunden heilen kann, die ihre Spitze geschlagen hat.
Gibt es ein letztes Ziel, so kann es nur sein: Aufhebung und Untergang der Wirklichkeit selber. Aber das Wandellose hat keine ‚Ziele‘. Der Mensch allein ist der Zielsetzende.
Mein Buch wird zeigen, daß die gesamte Bildung zweier christlichen Jahrtausende, die Logik und Etik des Abendlandes, ° seine Weltgeschichte und Menschheitsentwicklung nichts anderes ist als verkappter Geltungswille und Machtwahn der europäisch-amerikanischen Menschenwelt.
Der Verfasser verspürte ein Leben hindurch allzu gut, daß auch er selber solch ein Europäer ist.
Er teilt alle Gefahren mit seiner Zeit und mit seinem Volke. Alle Begrenzungen, alle Irrtümer, alle Schuld. j
Scheint dieses Werk anzuklagen, so ist das eine Selbstanklage. ; i