Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

nießens. Jeden Vormittag spielte er ein halbes Stündchen auf - der Flöte Rossini und Mozart. Mittags speiste er im altväterischem Frack und Vatermörder als vornehmer Mann im ersten Gasthof der Stadt und deg Wirt forderte von ihm den doppelten Preis, weil sein Appetit ausreichte für zweie. Nachmittags lief er bei jedem Wetter mit seinem Pudel Atma zwei Stunden lang durch die Wälder des Taunus. An jedem Abend trank er sein Fläschchen Rheinwein und sein neunstündiger Schlaf war fest und ohne Traum. Welch ein Buddhist, welch ein Pessimist war doch dies! Er kannte die Menschen und durchschaute das Leben, aber im Herzen seines Herzens war’ er stets ein großes Kind, und die derbe Grobdrähtigkeit seines Geistes verhütete, daß die Kanten und Stacheln, mit denen er die ganze Welt verwundete, jemals sich kehren konnten gegen das Selbstgefühl ihres Eigners. So lebte er 73 Jahre als buddhistischer Epikuräer und starb einen schmerzlosen, glücklichen, ganz unbewußten Tod. Vor allem hatte er das nie genug zu preisende Glück, nie unter die Fänge dermodernen Inquisitionshenkerknechte zu geraten, der Zeitungsschreiber, Wissenschaitsbonzen, öffentlichen Gelehrten, nie eine Zeile für Zeitungen oder in Zeitschriften preisgeben, nie für die Neugier, die Anregungssucht, das Unterhaltungsbedürfniß öffentlich reden zu brauchen, noch überhaupt jemals Rücksicht nehmen und nach der sogenannten Öffentlichen Meinung, das heißt nach Wirkung oder Eindruck auf andere fragen zu müssen. Nur wer die ganze Ruchlosigkeit des. öffentlichen Eitelkeitsmarktes erfahren hat, nur der ins Joch der Preisgabe seiner Selbst Geknechtete welcher weiß, daß wer sich -Selbst in sein Werk hineinlegt, damit eben auch sich Selbst — hineinlegt, nur der täglich vernutzte Lohnarbeiter des Geistes kann voll ermessen die nie genug zu preisende aber ungemein seltene Bevorzugung eines Schopenhauerschen Schicksals. Nach Gunst der äußeren Lebensloose erscheint mir Schopenhauer neben Goethe als einer der glücklichsten Menschen, unter allen, die die Erde getragen hat.

Ganz anders blickt das vergnitterte Antlitz des großen Menschheitsbeglückers und Weltbeiahers auf die Nachwelt. Ein vergrämtes, verschrottenes, vergälltes und vergrelltes Menschengesicht, darin eingegraben ist die Spur langen Verprügeltseins, welche aus den Augen unsrer größten Genien schämt. Dühring war von Natur jeder betrachtsamen Lebensart, jeder ästetischen oder religiösen Begabung so fremd, daß