Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

Lebensvergeudung. Lebenserneuerung.

‚Es sind vermeidliche‘ Übel, daran wir kranken.s Stuart Mill.

Der Zwist, daß die Gebrauchs- und Sachgüter des Abendlandes immer mächtiger, dagegen die sie tragenden Seelen immer ohnmächtiger werden, läßt nur zwei Auswege olien: Entweder wir kehren uns ab von aller Weltlichkeit der Werktümer und Wirkordnungen, — (dann verlieren wir die mühsam errungene Herrschgewalt über die Erde) —; oder: Wir stellen uns freiwillig in den Dienst des Fortschrittsgetriebes, — (dann wird unsre Seele zum Rädchen und Schräubchen in der uns vernutzenden Sachwelt). Wir pendeln also, taumelnd zwischen Anarchie und Kommunismus.

Der Weg, den die kaukasische Menschheit eingeschlagen hat, seitdem die Unlösbarkeit dieses ‚Kulturproblems’ klar ward, ist zu bezeichnen durch die alte Formel: ‚laissez aller‘; der Weg des Nitschewo, des ‚europäischen Nihilismus‘. — Von Rousseau bis Nietzsche oder Tolstoi häufte sich ein Berg der Verzweiflungen, Verwünschungen und Warnungen angesichts des ratslosen Fortschreitens europäischer Bildung. Dunkel gefühlt, wenn auch selten klar herausgearbeitet, wurde der Zusammenhang Dessen, was wir ‚Kultur‘ nennen mit einer stäten Vermehrung menschlicher Leiden.

In allen Ländern bildeten sich zwei Lager. Sie reden von der Polstellung von: Stofilichkeit und Ideal, Wirtschaft und Christentum, Bolschewiken und Popen, Sozialdemokratie und Religion. Aber wie immer auch diese Gegenüberstellungen lauten, dahinter schwält dunkel und drohend die Unvereinbarkeit menschlicher Bildungswelt mit natürlichem Glücksverlangen. Die Einen (alle fortschrittlich gesinnten Geister) hegen den Wahn, daß Glück und Bildungsfortschritt verknüpft werden könne; ja, daß der Fortschritt erst schaffen werde das Glück, vielleicht sogar das Glück selber sei. Die Anderen, vor allem die klugen und gewandten Jesuiten, durchschauen, daß Völkerglück und Kulturfortschritt zweierlei bleibt und der ‚Naturzustand‘ das Leidlosere ist. — In Platos Politeia steht ein schönes Gleichnis. Der Totenrichter hält die Urne mit den Loosen der Menschen. Die Seelen alle drängen hinzu, um für einen neuen Lebenslauf ein möglichst vorteilhaftes Loos zu erwischen. Zu oberst in der Urne liegen die stolzen Loose der

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