Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

‚887 Ich erinnere noch ein Mal an das Gleichniß der einander

umfassenden Kreise. Der Mensch des Westens, breit dastehend auf dem Boden der Erfahrung, hat den kleinen Kreis raumzeitlicher Bewußtseinswirklichkeit voll ausgefüllt, darüber aber

vergessen das kosmische Element, darinnen die Welt des Menschen doch nur wie ein Schaumilöckchen schwebt. Der

Mensch Asiens behielt zwar noch Anschluß ans Wandellose, hat aber den der Menschenarbeit zugewandten Kreis der Ze it noch

nicht einmal zur Hälfte erobert. —

Was in Deutschland Begriff, Lehre, Literatur ist, das lebt in Rußland als Glaube, Seele und Natur. — Wer bei uns die Worte Vaterland, Nation und Volkheit im-Munde führt, der ist ganz erfüllt von Ausschließlichkeit und Machtwille der eigenmen Gruppe und Artung; und stierwütig hinstarrend auf den plumpen Gegensatz „National-International“, spürt er nicht, was der dumpfeste Russe doch spürt: daß im Wettstreit der Völker Sieger wird nur dasjenige Volk, welches an seiner Landschaft verwirklicht: das Übervölkische. — Wer bei uns spricht von Befehlsrecht, Führertum und Herrschaft, der denkt an geputzte Kleiderstöcke der Idee, an die sehr unköniglichen Seelen, welche bloße Träger der Würde sind, Funktionäre der Macht und Anstrich gebende Sinnbilder. Ja, die brauchbarsten (Eduard VII. v. England, Ferdinand v. Bulgarien, Ludwig II. v. Bayern) kamen heute gleich liberalen Unternehmertypen, die als gute Rechner das Reichsgeschäft wohl verstanden. Aber der natürliche Mensch will ehrfürchtig gehorchen. Und er fühlt, daß gehorcht werden soll dem Verehrungswürdigem. Er muß an der Spitze der Volkheit sehn den Sprecher und Verantworter für die Letzten und Ärmsten.

Was sind im Munde europäischer Gegenwart die Worte Bolschewismus, Kommunismus und Revolution! An gewaltige Ideen hängen sich durchlöcherte und naturlose Seelen, um sich vom Geiste emportragen zu lassen wie Lappen und Lumpen vor dem Sturm. Die grauenhafteste Gattung unter allen Arten europäischer Geschäftigkeit, der Mensch, welcher hochsteigt an den Leitern fremder Not, welcher in Wortpurpur kleidet des Magens gierige Wünsche, welcher seine Suppe kocht an der sorglich unterfeuerten Hofinungs- und Sehnsuchtsglut im Frohn darbender Massen, täglich satt werdend vom Hunger seines Volks, dieser furchtbare in seiner Idee ganz unangreifbare, ganz serechtiertigte, an seiner Seele zum Schänder gewordene Mensch macht aus den heiligen Forderungen des Rechts sein 25%