Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit
‚scheint art, daß nei Euchme Anendlande der Mensehaus dem
Leben heraus- und der Natur gegenüber-getreten ist. Denn immer handelt es sich um Eure Not, Eure Sehnsucht, Eure Erlösung. E j
Das zweite Wesensmerkmal des Christentums: der
Evolutionismus, macht das noch deutlicher! Mit einer be-
wundernswerten Triebsicherheit erfühlten die Kirchenlehrer seit ie die Notwendigkeit des Entwicklungsdogmas für das Abendland. Die ganze Arbeit der christlichen Scholastik ging
darauf aus, die Ideenlehre Platos dem kirchlichen Glaubens-
sefüge einzuverleiben; und zwar in der Entstellung und platten Vergröberung, die sie durch Aristoteles erfahren hatte. Als Keoaraiwers, (recapitulatio) wird seit Irenäus (+ 202) der echt abendländische Wahn bezeichnet, daß „alles von Gott ausgeht und zu Gott zurückkehrt“, die Welt also ein ‚hist orischer Prozeß‘ sei, verlaufend nach einem auf Menschen zugeschnittenem göttlichen Erziehungs- und Erlösungsplan.. (raudayuyos eis Xproxov.)
Während der zweiten Hälfte der Scholastik (vom Konzil zu Nikäa 325 bis zu Karl d. Gr. 800) ist Gott vollends Prozeß‘ seworden!! Heute, wo die Profeten (von profiteri, gestehen) abgelöst sind durch Professoren (von proficere, nützen), welche wohlgeübt sind, sowohl Mücken zu seihen als Kamele- zu
schlucken, da wundert sich offenbar keiner mehr, wenn irgend
ein Krumm- oder Schleiermacher redet über ‚den im Entwicklungsprozeß sich offenbarenden Gottesgeist‘ oder versichert, daß Gott zu begreifen sei als ‚der geschichtliche Fortschritt‘, welcher ‚im Haupte des Menschen aus den Gefängnissen der Materie sich selbst entkerkere' — und derartige wüste Paradoxe mehr, grade als ob all dieses krüde Zeugs sich ganz von selber verstünde.
Von allen wider- ia wahnsinnigen Gedanken der Erde ist sicherlich nie’ ein wahn- und widersinnigerer gedacht worden, als der von Sören Kierkegaard mit der Formel ‚das große Paradox’ bedachte Grundgedanke der Christenheit: „An einer bestimmten Stelle im Raum e, an einem bestimmten Punkte in der Zeit, iust in unserm menschlich-irdischem Ameisenhügel sei Gott ein Mensch geworden und von meiner Stellungnahme zu diesem empitischem und geschichtlichem Vorgang solle nun fortan das zeitlos Ewige abhängig bleiben“.
Eine höhere Selbstbewertung, Selbstbetonung und Selbst-
gerechtigkeit läßt sich überhaupt nicht denken. Unter der