Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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bin auh ih immer dort. Der geliebte König bleibt ſich immer glei in ſeiner herzlichen Weiſe gegen mich; ex hört niht auf, mi< mit Gnadenbezeugungen zu überhäufen; auh alle Andern ſind rührend gut für mich, nux nicht die Damen der hochſeligen Königin. Meine Stellung ihnen gegenitber iſt ſchwer; ſie wollen keine Autorität über ſich dulden und denno<h muß ih meine Pflicht thun. Bei meinem Alter und meiner langjährigen Kenntniß aller Verhältniſſe muß ih do< im Stande ſein zu ermeſſen, was für die Erziehung der jungen Prinzeſſinnen geſchehen muß, was in Betreff auf gute Sitten und Manieren das Richtige iſ und auf was man mit beſonderer Sorgfalt zu achten hat, und ſie könnten hierin mix wohl folgen und vertrauen. Es iſ ohnehin ſchwierig genug, bei dem Unterricht dex Königlichen Kinder einen guten Erfolg zu gewinnen, wegen dex vielen Unruhe und der immerwährenden Unterbrechungen !“

„Bereits am 28. Mäxz dieſes Jahres rü>ten in Folge der abgeſchloſſenen Convention die Franzoſen in Berlin ein. Seitdem ſtehen bald mehr bald weniger franzöſiſche Truppen hier in Garniſon, aber es iſ ausgemacht, daß ſie weder Potsdam no< Charlottenburg berühren dürfen. Darum kann der König auh jezt nicht hier ſein und hat ſeine Reſidenz abwe<ſelnd an den vorerwähnten Orten. Kurz nach ſeinem Geburtstag ſchiten ihn die Aerzte dies Jahr nah Tepliÿ und im September kam er von da zurüc>. Ex i ſeitdem viel wohler, auh hat ex ſi in Tepliy gefallen und alle Welt war dort entzückt von ſeiner Leutſeligkeit. — Ach! noch ſeße ih alle meine Hoffnung auf Rußland! — wenn der Böſewicht, der unſer Verderben iſ, nux dort eine Niederlage fände, dann fönnten die Ruſſen auh unſere Feſſeln