Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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wie feine Andere! — Nach und na<h hatte ſie ſi< durh eigenes Bemühen ſehr \{öne Kenntniſſe erworben, ſie beſhäftigte ſih viel und mit großem Ernſt, und manche unhalt= bare Träume und zu ideale Auffaſſungen ihrer erſten Jugend hatte ſie überwunden und bei Seite gelegt, um mit klarem Blick die Forderungen dex Wirklichkeit ins Auge zu faſſen. Wer mit ihr lebte, mußte ihren ſeltenen Verſtand, ihr grades ſicheres Urtheil bewundern, aber noh weit, weit mehr die Reinheit ihres Herzens und die tiefe Frömmigkeit ihrer Seele. Dem König bleibt das Verdienſt, viel zu ihrer ernſten inneren Entwickelung beigetragen zu haben, aber das unvergleichli<ſte Herz hatte ihr Gott gegeben! — Wie hingebend, wie zärtlich liebte ſie ihren Mann und ihre Kinder, und welch ein unerſeßlicher namenloſer Verluſt iſt ihr Tod für Beide und für das ganze Land; Ach, und was war ſie mix Armen — könnte ich das je mit Worten ſagen! —- Wie oft habe ih in den Zeiten, wo ſie no< unſer Glü>k und unſer Troſt war, im Stillen Gott gedankt, mih in meinem Altex an die Seite eines ſolchen Engels geführt zu haben!“

Die Stärke des Gefühls, mit dem die treue Dienerin ihrer Königin den Schmerz um ſie im Herzen trug, gab ihren leßten Lebensjahren einen Hauch wehmüthiger Trauer und ernſter Weiſe. Aber dies war nux die Färbung ihres inneren Lebens, ſie ſprach nicht viel darüber.

Im Uebrigen lag ihrer ſ{<li<hten aufrihtigen Natur nichts ſo fern, als ein Nachgeben an ſelbſtiſche Gefühle, und ihr Charakterbild würde ein ſiefes und unrichtiges ſein, wollte man ihm den leiſeſten Zug von Sentimentalität bei= fügen. Dieſe war ihr ebenſo zuwider, wie jede Pinſelei oder Aengſtlichkeit in ſ{hlimmen Augenbli>ken.